„Täter-Opfer-Umkehr vom Feinsten“
März 25th, 2025 | Published in Radio, Podcast & TV, Rassismus & Menschenrechte
Stellungnahme der deutschen Melde- und Informationsstelle Antiziganismus zu Markus Lanz:
Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) (MIA) verurteilt die antiziganistische Rhetorik des Moderators Markus Lanz in der gleichnamigen Sendung vom 25. Februar 2025, die live im ZDF ausgestrahlt wurde. Die Meldestelle kritisiert auch, dass seitens des TV-Senders keinerlei Kommentar dazu geliefert wurde.
Was vorgefallen ist
In der ZDF-Polit-Talkshow „Markus Lanz“ vom 25. Februar wurde u. a. darüber gesprochen, wie es der AfD bei der letzten Bundestagswahl gelungen ist, so viel Zustimmung zu erhalten, insbesondere in Gelsenkirchen die meisten Zweitstimmen zu bekommen. Moderator Lanz fand schnell eine Antwort: Sinti und Roma seien dafür verantwortlich. Er sprach darüber, wie viele Probleme diese Bevölkerungsgruppe vor Ort verursachen würde. Sie seien kriminell, würden die Schule abbrechen, viele von ihnen seien arbeitslos.
Wieso es höchstproblematisch ist
Lanz reproduziert jahrhundertealte antiziganistische Vorurteile sowie Täter-Opfer-Umkehr vom Feinsten, indem er die in Gelsenkirchen lebenden Sinti und Roma sowohl für die sozialen Probleme in der Stadt als auch für die hohen Zustimmungswerte der AfD verantwortlich macht. Sogar die Senkung der Lebenserwartung in Gelsenkirchen wird in diesem Zusammenhang angesprochen.
Sündenbockfunktion
Sinti und Roma werden als Sündenböcke für soziale Unzufriedenheit und gesellschaftliche Krisen herangezogen. Dieser Mechanismus ist nicht neu, doch die derzeit verbreitete Diskursverschiebung, Migration für die meisten Probleme verantwortlich zu machen, verstärkt diese negative Einstellung. In diesem Zusammenhang präsentiert Herr Lanz alarmierende „Daten“ aus Gelsenkirchen zu Sozialbetrugsfällen, Arbeitslosenquoten, Schulabbrüchen und Absentismus bei Sinti und Roma. Diese von Antiziganismus geprägten Aussagen sollen laut ihm die schwierige wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage vor Ort erklären. Zudem werden die Erfolge der AfD als eine selbstverständliche Folge des angeblichen Fehlverhaltens der Minderheit dargestellt. Diese Argumentation ist grundlegend falsch, irreführend und überheblich. Es sind nicht die marginalisierten Gruppen, die für den Erfolg der AfD verantwortlich sind, sondern vielmehr soziale Ungleichheit und die zunehmende Normalisierung von Rassismus, deren Enttabuisierung zuletzt von Lanz selbst bestätigt wurde.
Verwendung des Z-Wortes
Lanz reproduziert zudem antiziganistische Sprache. Er fragt sich, ob wir„die richtigen Debatten führen“, denn allgemein würde man sich eher drum kümmern zu überlegen, ob man „Z*schnitzel“ – von ihm unzensiert ausgesprochen – überhaupt noch sagen darf, während in Gelsenkirchen die Stadt ein viel ernsteres Problem mit Sinti und Roma hat. Diese Diskursverschiebung lenkt von der eigentlichen Problematik ab: der fortwährenden Diskriminierung und Marginalisierung der Minderheit in allen Bereichen, sei es sprachlich, gesellschaftlich oder strukturell. Die Verwendung der rassistischen Fremdbezeichnung ist inakzeptabel, da sie beleidigend und diskriminierend ist und für viele aufgrund der anhaltenden Verfolgung, insb. während der NS-Zeit, retraumatisierend wirkt.
Täter-Opfer-Umkehr
Es ist enttäuschend, dass in einer politischen Talkshow struktureller Antiziganismus und die damit verbundenen Ausschlussmechanismen in allen Lebensbereichen nicht als Ursache für die prekäre Lebenssituation von Sinti und Roma anerkannt werden. Stattdessen wird die Minderheit für ihre eigene Situation verantwortlich gemacht, indem ihnen Faulheit und Kriminalität unterstellt werden. Es wird auch versäumt, die reale Bedrohung, die der Aufstieg rechtsextremer Parteien für marginalisierte Gruppen darstellt, anzusprechen.
Es ist falsch, den Erfolg der AfD dem angeblichen Fehlverhalten der Minderheit zuzuschreiben. Studien zeigen, dass die Wähler_innen der AfD dies aus Überzeugung tun. Dass gerade dort, wo viele von Armut betroffen sind, strukturelle Probleme entstehen, ist längst bekannt. Solche Rhetoriken sind äußerst gefährlich, da sie dazu beitragen, dass Antiziganismus salonfähig bleibt und sogar gerechtfertigt wird. Menschen mit bereits antiziganistischen Einstellungen werden in ihren rassistischen Ansichten dadurch bestärkt.
Forderungen
Solche Äußerungen sollten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht toleriert werden, und wir hätten erwartet, dass das ZDF zu dem Vorfall Stellung genommen hätte. Solange jedoch Antiziganismus als akzeptierte Form des Rassismus betrachtet wird, wird eine Entschuldigung wohl nicht als notwendig erachtet. Es ist an der Zeit, dass Sinti und Roma auch in den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Sender einen festen Platz erhalten, um der Verharmlosung des Antiziganismus entgegenzuwirken. Die Notwendigkeit von Schulungen im Bereich Antiziganismus wird ebenfalls deutlich, um sicherzustellen, dass solche „Unfälle“ nicht mehr vorkommen oder unbeachtet bleiben.
(Text: Melde- und Informationsstelle Antiziganismus/MIA)