30 Jahre Oberwart: Am Wendepunkt
Februar 5th, 2025 | Published in Geschichte & Gedenken, Rassismus & Menschenrechte, dROMa (Magazin)
Vor dreißig Jahren entschied sich das Schicksal der Roma
In der Nacht zum 5. Februar 1995 brach mit einem Mal der alte, mörderische Hass wieder über die Volksgruppe herein. Vier junge Männer starben in Oberwart durch ein rassistisches Bombenattentat. Die Schicksalsstunde der Roma wurde auch zur Bewährungsprobe für die Republik. Doch Gewaltakte gegen Roma gibt es noch immer – auch in Österreich.
Die vier Roma starben durch eine perfide Sprengfalle, die der Rechtsterrorist Franz Fuchs in der Nähe der Oberwarter Roma-Siedlung platziert hatte. Als sie ein Schild mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien!“ entfernen wollten, detonierte der Sprengsatz: Karl Horvath (22), Erwin Horvath (18), Peter Sarközi (27) und Josef Simon (40) waren sofort tot. Für ihre Familien brach eine Welt zusammen; für die Volksgruppe war es die schwerste Stunde seit dem Völkermord. Alles, was man sich gerade erst erkämpft hatte, stand plötzlich auf dem Spiel.
Was fast immer geschieht
Und tatsächlich geschah, was nach Gewalttaten gegen Roma fast immer geschieht: Man verdächtigte die Roma selbst. Von einem rechtsextremen Attentat wollten Polizei und Politik zwei Tage lang nichts wissen, stattdessen diffamierte man die Opfer. Sofort war die Rede von einer blutigen „Fehde“ unter Kriminellen. Polizisten durchsuchten die Wohnungen der Roma-Familien nach Sprengstoff und Waffen. Innenminister Löschnak befeuerte Spekulationen, die vier Todesopfer hätten die Explosion womöglich selbst verschuldet – zu einem Zeitpunkt, als den Ermittlern längst klar war, dass sie es mit einem rassistischen Terroranschlag zu tun hatten. Noch Monate später versuchte Jörg Haider, die Tat den Opfern selbst in die Schuhe zu schieben, indem er über kriminelle Machenschaften („Waffengeschäft“, „Autoschieber“, „Rauschgift“) schwadronierte.
Die „lange, peinliche Schrecksekunde des offiziellen Österreichs“ (Armin Thurnher) währte jedoch nicht ewig. Bundeskanzler und Staatsspitze stellten sich schließlich doch noch beherzt an die Seite der Opfer. Das Begräbnis in Oberwart geriet zum Staatsakt; der landesweite Schulterschluss gegen den Terror gelang und ermöglichte eine Welle der Solidarität. Mit einem Schlag waren die Nöte der Volksgruppe ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Die Minderheit, von der man kaum etwas wusste, bekam ein Gesicht.
Und dennoch: Auch Österreich ist – bis in unsere Tage – nicht gänzlich gefeit vor Gewaltausbrüchen. Verantwortlich dafür sind vor allem Boulevard und Politik; kampagnenartig halten sie das aggressive Ressentiment gegen Bettler und „Zigeuner“ am Köcheln – Stimmungsmache, die sich auch in Gewalt entlädt. Vor allem Notreisende oder Fahrende aus dem Ausland geraten immer wieder ins Visier der Rassisten.
Gewalt gegen Bettler …
So etwa in Salzburg. Am 8. Juni 2012 umstellten Jugendliche ein Abbruchhaus in Salzburg-Lehen und attackierten die darin campierenden Roma aus Rumänien. Die rund zwanzig jungen Männer waren mit Holz- und Eisenstangen bewaffnet und warfen Steine. Sie schlugen Fenster ein und bedrohten die Roma im Haus. Zwei Personen wurden leicht verletzt. Ein Großaufgebot der Polizei konnte Schlimmeres verhindern. 2014 berichtete „Der Standard“ von einer Romni, die in Salzburg tätlich angegriffen und „in den Bauch getreten“ wurde. Im selben Jahr warfen Jugendliche den Schlafsack eines Bettlers beim Müllnersteg in die Salzach, kurz darauf wurde eine Notschlafstelle mit dem Schriftzug „KZ“ beschmiert. Zudem wurden im Stadtteil Schallmoos zwei Bettlerschlafstätten in Brand gesetzt. Die dort verstauten Habseligkeiten wurden zerstört. 2015 zündeten Unbekannte abermals Schlafplätze von Notreisenden an, während diese in der Innenstadt bettelten.
Danach häuften sich Gewaltakte in Linz. 2016 verübten unbekannte Täter drei Brandanschläge auf Zeltlager obdachloser Roma-Familien. Zuerst wurden am 4. Februar 15 Zelte am Stadtrand in Brand gesteckt. Zwei Tage darauf brannten zehn weitere Zelte – mitsamt dem wenigen Hab und Gut der Familien. Am 2. März informierte die Caritas über einen dritten Anschlag, bis zu 30 Personen, darunter einige Kinder, waren betroffen. Kurz darauf verprügelte ein junger Mann einen Bettler, nachdem ihn dieser am Taubenmarkt um Geld gebeten hatte. Der Angreifer wurde festgenommen, der Bettler wurde im Krankenhaus versorgt. Und in Dornbirn in Vorarlberg sengten zwei Männer, die sich als Polizisten ausgaben, im November 2015 mehrere Zelte von Bettlern an. Diese setzten sich zur Wehr, es kam zu einem Handgemenge.
All diese Vorfälle ereigneten sich vor dem Hintergrund hitziger Debatten über Bettelverbote. Und auch die Reaktionen glichen einander: In Linz kündigte der Bürgermeister nach den Anschlägen eine „Aktion scharf“ an – nicht etwa gegen die Gewalttäter, sondern gegen die Bettler. Und in Salzburg-Lehen kehrte die Polizei am Tag nach dem Angriff noch einmal zum Tatort zurück – für eine Razzia.
… und Fahrende
In Ainet in Osttirol gingen am 1. August 2009 alkoholisierte Jugendliche nachts auf durchreisende Roma bzw. Manouches aus Frankreich los. Dabei sollen sie mit Stangen bewaffnet an die Wohnwägen getrommelt und „Zigeuner raus“ gerufen haben. Eskortiert von Streifenwagen verließen die Roma noch in derselben Nacht den Ort. Dennoch will die Polizei nichts Strafbares gesehen haben. Sie notierte sich nicht einmal die Personalien der Roma.
Vier Jahre später wiederholte sich Ähnliches in Bischofshofen. In der Nacht zum 3. September 2013 griffen dort circa zwanzig Personen eine Gruppe von Sinti bzw. Roma an, die mit ihren Wohnwägen legal am Ortsrand campierten. Der Mob hatte sich via Facebook zum Angriff verabredet, in den Postings war von „Molotowcocktails“ die Rede, und dass „das Drecksgesindel ausgerottet gehört“. Es flogen Steine, es kam zu Drohungen und Beschimpfungen. An den Wohnwägen entstand Sachschaden, verletzt wurde zum Glück niemand. Acht Pongauer wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Zuletzt richtete sich die Aggression gegen campierende Sinti am Messeparkplatz in Tulln. Im Juni 2023 berichteten die „NÖN“ von Drohungen („Ihr sollt brennen!“) und kilometerweit hörbaren Knallkörpern, die bei den Wohnwägen detonierten.
Von all dem nahm die breite Öffentlichkeit allerdings nur wenig Notiz. Es gab keinen Aufschrei. Kein Entsetzen. Man muss nicht erst über die Grenzen blicken, um sich auszumalen, was noch alles geschehen kann.
Von Roman Urbaner
Aus: dROMa 76, Winter / Dschend 2024
(→Themenheft / themakeri heftlina: „Gewalt / Bibastalo tradipe“)