Trauer um Mirano Cavaljeti-Richter

August 28th, 2024  |  Published in Ehrungen & Nachrufe, Musik

Mirano Cavaljti-Richter im Interview mit Mitarbeitenden des Sammlungsprojektes „Das vergessene Gedächtnis“, Deutschland (Foto: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma)Musik war sein Leben. Wenn Mirano Ca­val­je­ti-Rich­ter von seinen Rol­len in Opern und Operet­ten er­zähl­te, summ­te er oft ganz leise eine der ge­lieb­ten Melo­dien oder stimm­te gar eine Arie an. Dabei strahl­te er voller Glück, selbst als seine schwe­re Krank­heit ihm längst die Kraft ge­raubt hatte. Am 17. August ist der An­ge­hö­rige der Min­der­heit der Sinti nun nach einem er­füll­ten Leben im Alter von 91 Jahren ver­stor­ben.

Einen seiner letzten umjubelten Auftritte hatte der ausgebil­dete Tenor im Januar 2023 in Heidelberg. Dabei stellte er gemein­sam mit der Histori­kerin Annette Leo seine Lebens­erin­ne­run­gen, die unter dem Titel „Auf der Flucht über den Balkan“ (hier unsere Buch­bespre­chung in dROMa 68: Odyssee am Balkan) im Jahr zuvor er­schienen waren, auf der Bühne im Ge­wölbe­keller des Doku­men­tations­zentrums vor. Mirano Caval­jeti-Rich­ter hat als Kind den Holocaust an den Sinti und Roma über­lebt und große Not ertragen müssen. Des­halb empfand er es als seine Pflicht, über die Flucht seiner Familie während des Natio­nal­sozialis­mus und sein Schicksal zu sprechen. Auch, um immer wieder auf die Gefahren von Faschismus, Rassismus und Anti­ziganismus auf­merksam zu machen.

Gewarnt von einem Lehrer und im Angesicht beginnen­der Depor­tatio­nen von An­gehöri­gen, brach die Familie 1939 aus dem thürin­gischen Hinternah zunächst nach Bayern und Österreich auf. Von dort schafften seinen Eltern trotz un­gültiger – da ab­gelaufe­ner Pässe – den Grenz­übertritt nach Italien. Auch hier be­gegne­ten sie als Sinti der zu­nehmend um sich grei­fenden Rassenideologie, in Kroatien, Bulgarien und Serbien zudem der Gewalt durch Polizei­be­amte und Parti­sanen. Wäh­rend die engsten An­ge­hörigen von Mirano Caval­je­ti-Richter den Holocaust überleb­ten, wurden sechs Fa­milien­mit­glieder, darun­ter Onkel und Tanten, von den NS-Schergen er­mordet.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs absolvierte Mirano Cavaljeti-Richter eine klassische Ausbildung am Städti­schen Kon­serva­to­rium in Nürnberg. Seine Jahrzehnte um­spannende inter­natio­nale Gesangs­karriere führte ihn als Star zahl­reicher Opern und Operetten auf hunderte Bühnen in ganz Europa, darunter das Münch­ner Hoftheater und das Salzburger Landes­theater.

Trotz er­schüt­ternder Kindheits­erfahrun­gen und der Traumata der NS-Ver­folgung gelang es ihm, das Leben wohl­wollend und mit Heiterkeit zu betrach­ten. Bis ins hohe Alter berichtete er als Zeitzeuge von seinen Er­fahrun­gen, um das Bewusst­sein für den Holocaust an Sinti und Roma während des Natio­nal­sozialis­mus zu schärfen. Sein Credo lautete dabei: Man könne ver­geben, aber vergessen dürfe man nie.

„Der Holocaust an Sinti und Roma ist immer noch zu wenig sichtbar und viel zu wenig erinnert“, be­tonte er nach­drück­lich im Interview mit Mit­arbeiten­den des Samm­lungs­projekts „Das ver­gessene Gedächtnis“. Das Projekt zum Aufbau einer musealen Sammlung am Heidel­berger Doku­men­tations­zentrum hat der Sinto aktiv unter­stützt – nicht nur mit einem aus­führli­chen, un­ver­gäng­lichen Interview. Mirano Caval­je­ti-Richter hat dazu auch be­merkens­werte Objekte wie seinen maß­geschnei­derten Bühnenfrack, eine Single-Schall­platte und zahlreiche Fotos bei­ge­steuert. Diese werden auch künftige Genera­tionen an sein Schicksal und seine außer­ordent­lichen Erfolge erinnern.

(Text: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma)

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