„Das vergessene Gedächtnis“

Juli 11th, 2024  |  Published in Geschichte & Gedenken, Veranstaltungen & Ausstellungen

Museale Sammlung und Ausstellung: "Das vergessene Gedächtnis"Deutschland: Museumsprojekt zur Geschichte des Holo­caust an Sinti und Roma prä­sen­tiert Zwi­schen­er­geb­nis. Die Aus­stel­lung ist noch bis zum 18. Au­gust 2024 im Doku­men­ta­ti­ons- und Kul­tur­zent­rum in der Bre­meneck­gasse 2 in Hei­del­berg zu se­hen. Der Eintritt ist frei.

Am Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma ent­steht eine mu­seale Samm­lung mit Ob­jekten und Zeit­zeu­gen­ge­sprä­chen. Das Pro­jekt wird von der Stif­tung Erin­ne­rung, Ver­ant­wor­tung und Zu­kunft (EVZ) und dem Bundes­mi­nis­te­ri­um der Finanzen (BMF) in der Bil­dungs­agen­da NS-Unrecht ge­fördert.

Bei der Projektvorstellung mit einer Podiums­dis­kussion zur Zu­kunft des Er­innerns war auch der Holo­caust-Über­le­bende Christian Pfeil zu Gast. Sein Überleben glich einem Wunder. Von den dra­ma­tischen Um­ständen seiner Geburt im von den Natio­nal­sozia­listen besetzten Polen erzählte Christian Pfeil auf dem Podium. Ein Video zu seiner Lebens­ge­schichte ist in voller Länge auf einem der Bild­schirme der Aus­stellung zu sehen, die im Gewölbe­keller des Doku­men­tati­ons­zentrums hängen. Seit 2022 befragt ein Experten­team hier Zeit­zeugen und sucht nach Objekten zur Ge­schichte von Sinti und Roma während und nach dem Holocaust, dem 500.000 Men­schen zum Opfer fielen. Über­le­bende erfuhren häufig auch nach dem Ende der NS-Zeit Aus­gren­zung und Vor­urteile, so berich­tet es Christian Pfeil von seiner Schulzeit. Viele von ihnen bauten sich dennoch, wie der Trierer Sänger und Gastro­nom, der erfolg­reiche Restau­rants führte, eine eigene beruf­liche Existenz auf.

Statt Klischees solle eine neue museale Sammlung diese Vielfalt der „Lebens­realität der Sinti und Roma“ ab­bilden, so der Vor­sitzende des Doku­men­tations­zentrums und Zentralrats Romani Rose. Damit lege sie „einen neuen Zugang zur Geschichte der Min­derheit“. Auch Dr. Ralf Possekel, Leiter des Bereichs För­derung und Akti­vitäten der EVZ, betonte die Be­deutung des Projekts, das er­mögliche, bisher „un­be­kannte Geschichten“ zu erzählen. Ziel der Stiftung sei dabei, in der Erin­nerung an „Schicksale und Erfah­rungen der im National­sozia­lismus verfolgten Men­schen und Gruppen“ auch „das kritische Ge­dächtnis Deutschlands zu stärken“. Einig waren sich alle Teil­nehmenden der Diskussion, dass gerade in Zeiten wach­senden Antiziganismus und Rechts­radika­lismus die NS-Ver­gangen­heit nicht in Ver­gessen­heit geraten dürfe.

Vera Tönsfeldt machte noch einmal deutlich, dass der natio­nal­sozialis­tische Staat auf eine völlige Aus­löschung von Menschen und ihrer Geschichte gezielt habe. Umso wichtiger sei es, „ver­gessene Ge­dächt­nisse“ wieder sichtbar zu machen. „Das Recht und die Not­wendig­keit des selbst­bestimm­ten Erinnerns sind ein Grund­wert unserer Demokratie“, so die Leiterin des Projekts.

In der Ausstellung, die im Anschluss an Presse­gespräch und Podiums­dis­kussion be­gangen wurde, bündeln thematisch ge­ordnete Stationen Geschichte jenseits von Stereo­typi­sie­rung. In einer Vitrine liegen „Beweise des Unrechts“ – Zeitungs­artikel über die Ver­brechen der Nazis. Viele Über­lebende versuchten das, was in der Öffent­lich­keit der Bundes­republik lange ver­­leugnet war, schwarz auf weiß zu archivieren. Fami­lien­erin­ne­run­gen wie Fotos geben Einblick in per­sönli­che Schicksale zwischen Überleben, Aus­grenzung, Neuanfang und Identität. Franz-Elias Schneck hat dem Projekt einen elegan­ten Stuhl über­lassen, der 1937 neu im Haus seiner Großeltern stand. Im Interview er­klärt der Student, der seine eigene Familien­ge­schichte erforscht und sich für die Rechte von Sinti und Roma einsetzt, wie wichtig ihm die „Gebrauchs­spuren“ des Möbel­stücks sind: Zeug­nisse eines bedroh­ten Zuhause­seins in der Zeit der Verfolgung. In den Kunst­werken des Öster­reichers Alfred Ullrich ist das Trauma der NS-Ver­gangen­heit mal ironisch, mal subtil präsent, ein­ge­fangen etwa in Ruß­partikeln vor schim­mern­dem Grund. Fotos von fran­zösischen Soldaten im Ersten Weltkrieg zeugen von der großen Iden­tifika­tion vieler Sinti und Roma mit den Staaten, in denen sie sich zu­hause glaubten.

Gegen den dennoch fortwährenden Ausschluss bis hin zur ver­leugne­ten NS-Verfolgung mahnt ein De­monstra­tions­plakat von 1985: „Der Geist der Rassenpolitik ist noch nicht zu Ende“. Objekte wie Opern­fracks, Dirigenten­schuhe und Gemälde machen kultu­relle Leis­tungen der seit 600 Jahren zu Europa gehörenden Minder­heit sichtbar und öffnen gedanklich einen gemein­samen Raum in eine Zukunft jenseits von Aus­grenzung.

(Text: Aussendung des Zentralrats)

Comments are closed.