MIA-Jahresbericht: Vorfälle fast verdoppelt

Juni 28th, 2024  |  Published in Dokumente & Berichte, Rassismus & Menschenrechte

MIA-Jahresbericht 2023: Romani Rose, MIA-Vereinsvorsitzender Silas Kropf und der Antiziganismusbeauftragte des Bundes, Dr. Mehmet Daimagüler, bei der Vorstellung des Jahresberichts. Bildrechte: ZentralratDie deutsche Melde- und Informa­tions­stel­le An­ti­zi­ga­nis­mus (MIA) ver­öf­fent­licht ihren zwei­ten Jah­res­be­richt zu anti­ziga­nis­ti­schen Vor­fäl­len in Deutsch­land. Die Vor­fall­zahl hat sich im Ver­gleich zum Vor­jahr bei­na­he ver­doppelt.

Am 17. Juni 2024 wurde der Jahresbericht der Melde- und Infor­mations­stelle Anti­ziganis­mus MIA zu anti­ziganis­ti­schen Vorfällen in Deutschland aus dem Jahr 2023 auf der Bundes­presse­kon­fe­renz in Berlin vor­gestellt. Für 2023 hat MIA ins­gesamt 1.233 anti­ziganistische Vorfälle erfasst. Dies ist eine deutliche Stei­gerung im Vergleich zum Vorjahr (621 Vorfälle). Die höheren Zahlen stehen im Zu­sam­men­hang mit dem Rechtsruck in Deut­schland und sind auch durch den wach­senden Bekannt­heits­grad von MIA zu erklären. Es ist nach wie vor von einem großen Dunkelfeld anti­ziganis­tischer Vorfälle aus­zu­gehen, das erst in den kom­menden Jahren schritt­weise erhellt werden kann.

Reem Alabali-Radovan, Beauftragte der deutschen Bundes­regierung für Antirassismus, wür­digte das Engage­ment: „Was MIA in den letzten Jahren aufgebaut hat, ist be­ein­druckend. Hier wird deutlich, wie wichtig solche Melde­stellen für die Commu­nitys sind. Sie sind es, die die Situation der Betrof­fenen am besten kennen und wissen, was ge­braucht wird. Wichtig ist mir auch: Wenn wir über Zahlen und Daten des 2. Jahres­berichts der Melde­stelle sprechen, dürfen wir nicht vergessen, dass hinter jeder dieser Zahlen ein Mensch steht, der Gewalt, der Hass, der Unrecht erlebt hat.“

Bei den Vorfällen stechen drei Aspekte ins Auge: Die erste, alarmie­rende Erkenntnis ist die ein­deutige Zunahme extremer Gewalt. Nach einem Vorfall im Jahr 2022 hat MIA im aktuellen Bericht 10 Fälle extremer Gewalt doku­mentiert. Romani Rose, Vor­sitzender des Zentral­rats Deutscher Sinti und Roma, kommen­tiert: „Der zuneh­mende Hass und die Hetze in unserem Land, aber vereinzelt auch in den Parlamenten, bilden dafür oftmals den Nährboden. Leider liefern immer wieder auch Politiker demo­kra­tischer Parteien sowie Berichte in den Medien, die das Verhalten Einzelner mit der Ab­stammung verbinden, die Munition für diese schreck­lichen Vorfälle.“

Mit Sorge stellt MIA zweitens fest, dass antiziganistische Äußerungen bei Ver­samm­lungen, etwa in Fußball­stadien, und anti­ziganis­tische Propa­ganda, vor allem durch rechte Parteien, das gesell­schaftliche Klima vergiften und Menschen zur Gewalt anstacheln. Anti­ziganis­tische Äußerungen, die unter „verbale Stereo­typi­sierung“ erfasst werden, bilden mit die meist­ver­breitete Vorfallart im Jahr 2023.

„Diese Äußerungen tragen dazu bei, dass Antiziganismus von breiten Teilen der Gesell­schaft als Normalität ver­standen wird. MIA setzt sich dagegen ein und macht alle Formen von Anti­ziganismus sichtbar“, erklärt Dr. Guillermo Ruiz Torres, MIA-Ge­schäfts­führer.

Die dritte Erkenntnis resultiert aus der hohen Zahl antiziganis­tischer Dis­krimi­nierungs­vorfälle (502). Etwa ein Viertel dieser Fälle wurde durch staatliche Institu­tionen ver­antwortet. Dadurch zeigt sich, dass der insti­tutio­nelle Antiziganismus, wie schon im Jahr zuvor, ein eklatantes Problem darstellt. Da in vielen Dis­krimi­nierungs­fällen Polizei­be­amt/in­nen beteiligt waren, hat MIA im Jahresbericht 2023 einen Schwer­punkt auf das Thema Antiziganismus in der Polizei gelegt.

Dr. Mehmet Daimagüler, Beauftragter der Bundes­regie­rung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland, mahnt: „Bei drei der doku­mentier­ten Vorfälle extremer Gewalt handelt es sich um Polizei­einsätze. Dies muss für die Ver­antwort­lichen in den Sicherheits­apparaten ebenso ein Alarmzeichen sein wie die Tatsache, dass Polizei­be­amt/in­nen bei mehr als 80 dokumen­tierten Vorfällen beteiligt waren. Der Polizei kommt in unserem Rechtsstaat eine große Ver­ant­wortung zu. Sie soll über die Einhaltung der Gesetze wachen. Sie soll die Men­schen schützen. Für Sinti und Roma sieht die Realität leider oft anders aus.“

MIA fordert, dass Innenministerien und Polizeibehörden tiefgreifende Maß­nahmen auf allen Ebenen ergreifen, um dem Anti­ziga­nismus bei der Polizei ent­gegen­zutreten.

(Text: Aussendung von MIA)

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