Gedenkort in Schleswig-Holstein beschädigt
Juni 2nd, 2024 | Published in Geschichte & Gedenken, Rassismus & Menschenrechte
„Räudige Untat“: Bestürzung nach Anschlag auf Holocaust-Mahnmal für ermordete Sinti und Roma in Flensburg
Der Gedenkort für die vom NS-Regime deportierten Sinti und Roma aus Flensburg und Umgebung am Steinfelder Weg bei der Freien Waldorfschule Flensburg ist vergangene Woche beschädigt worden. Die rund 100 Kilogramm schwere Metallstele, auf der die Namen von 44 Deportierten aus der Region eingraviert sind, wurde gewaltsam aus der Verankerung gerissen. Das demolierte Denkmal wurde von Kindern auf dem Schulgelände entdeckt. Der Angriff dürfte sich in der Nacht zum Mittwoch zugetragen haben, vermutlich waren mehrere Täter/innen beteiligt. Polizei und Staatsschutz ermitteln. Zeuginnen und Zeugen werden gebeten, sich zu melden.
Neuer Gedenkplatz
Die Gedenkstelle war erst im Herbst 2023 bei der Freien Waldorfschule Flensburg errichtet worden. Auf dem Areal der Schule waren in der NS-Zeit Sinti und Roma zwangsweise untergebracht worden, bevor sie schließlich, 1940, in die Konzentrationslager im Osten deportiert wurden. „Der Platz ist rund angelegt, drei Bänke und Heckenrosen umfassen ihn“, beschreibt Denkmals-Initiatorin Constanze Hafner die Gedenkstelle:
Es gibt eine Tafel, die dem Gedenken Ausdruck gibt, sowie zwei Skulpturen. Die eine ist in die Erde eingelassen, die andere steht auf einer Stele, auf der an drei Seiten umlaufend die 44 Namen zu lesen sind. Die Namen sind so angebracht, dass jederzeit weitere eingetragen werden können.
„Verwerflicher Akt“
Die Sinti-Vertreter/innen zeigen sich bestürzt. „Als Nachfahrin von Holocaust-Überlebenden bin ich unfassbar traurig und wütend. Ich frage mich, wann die Entwürdigungen unserer Menschen endlich aufhören“, so Kelly Laubinger, Vorsitzende der Sinti-Union Schleswig-Holstein, gegenüber der „taz“.
In einer ersten Stellungnahme äußerte auch der Landesverband Deutscher Sinti und Roma in Schleswig-Holstein „tiefe Bestürzung und Empörung“ über „diese räudige Untat“. Diese sei nicht nur „ein Angriff auf das Andenken der Opfer, sondern auch ein Angriff auf unsere Werte der Erinnerungskultur und Menschlichkeit“:
Die Gedenkstätte, die mit großer Sorgfalt und dem einstimmigen Beistand der Flensburger Ratsversammlung errichtet wurde, steht als Mahnmal für die während des Nationalsozialismus zwangsangesiedelten und deportierten Sinti und Roma aus Flensburg. Stehen wir zusammen gegen eine solch widerwärtige Tat, die unsere Geschichte und unsere Verpflichtung zur Erinnerung bedroht. Rufen wir die Gemeinschaft auf, sich in Solidarität zu vereinen und unsere gemeinsame Verurteilung dieses verwerflichen Aktes zu verdeutlichen. Arbeiten wir weiterhin für eine Welt, in der solche ruchlosen Verbrechen keinen Platz haben. Ich hoffe, dass Sühne als Schuldabtrag deutlich wirksam wird und nicht nur unsere Toten, sondern auch die Lebenden als Genugtuung erfahren. Mer kamah Tschatschepen. Zu Deutsch: Wir fordern Gerechtigkeit.
„Wieder Zielscheibe“
Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, zeigte sich ebenfalls „schockiert über die Schändung und die spürbare, erschreckende Zunahme von Hass und Gewalt gegenüber der Minderheit vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Völkermords in Europa“:
Diese Entwicklungen stehen im Zusammenhang mit dem Rechtsruck in Deutschland. Rechtsextremisten und Nationalisten instrumentalisieren die Sorgen und Ängste in der Bevölkerung und machen Minderheiten wieder zur Zielscheibe. […] Politik und Justiz müssen endlich anerkennen, dass der Antiziganismus genauso eine Gefahr für die innere Sicherheit ist wie der Antisemitismus. Auch die Bevölkerung ist aufgerufen, gegen diese rechtsextremistischen Tendenzen ein Zeichen an der Wahlurne zu setzen.
„Schon wieder Müllfrevel“
Ebenfalls in Schleswig-Holstein hatten Unbekannte vor einigen Wochen ein weiteres Mahnmal für die Sinti- und Roma-Opfer des NS-Völkermords geschändet. In Neumünster hatten sie – zum wiederholten Male – Müll beim Denkmal abgeladen. „Schon wieder Müllfrevel am Holocaust-Mahnmal“, titelte die Regionalzeitung SHZ. „Das ist sehr schmerzhaft, denn für uns ist es nicht nur ein Mahnmal, sondern auch ein Grabersatz für die Ermordeten, die keine Gräber haben“, zitiert SHZ die Sinti-Vertreterin Kelly Laubinger.
Das Schicksal der Sinti und Roma in Schleswig-Holstein wird derzeit im Auftrag des Landtags von der Europa-Universität Flensburg eingehend erforscht und dokumentiert: „Die Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History erforscht grundständig die Geschichte der Sinti und Roma im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit.“
(Text: rurb/dROMa)