Rassismus als Brennglas für Klimawandelfolgen

Februar 20th, 2024  |  Published in Rassismus & Menschenrechte

Romasiedlung SlowakeiDie Auswirkungen des Klimawandels auf sozial mar­gi­na­li­sier­te und armuts­be­trof­fe­ne Roma-Com­mu­nitys

Von Barbara Tiefenbacher-Jami

Zehn bis zwölf Millionen Roma und Rom:nija leben in Europa. Besonders in den ehe­maligen kommunis­tischen Ländern Zentral- und Südost­europas sind bis zu 80 Prozent von Armut und Rassismus betroffen und leben am Rande der Nicht-Ro­ma-Ge­sell­schaft.[1] Das jahrzehntelange Zusammenspiel von Armut und Rassismus hat dazu geführt, dass Roma und Rom:nija zu den vul­nera­bels­ten Gruppen in Europa gehören. Es besteht die Be­fürch­tung, dass die Ver­wund­barkeit dieser Be­völkerungs­gruppe im Zuge der globalen Erd­erwärmung weiter zu­nehmen wird.[2] Unter­suchungen aus den USA zeigen, dass Men­schen, die von Dis­krimi­nierung und Rassismus be­troffen sind, wie etwa die afro­amerika­nische Bevöl­kerung, stärker von den Folgen des Klimawandels be­troffen sind.[3]

Umweltrassismus

Man kann davon ausgehen, dass es in Europa ähnlich ist. Aber nicht alle Roma und Rom:nija sind gleich betroffen. Diejenigen Rom:nija, die zur Mittel­schicht gehören oder nicht als Teil der Roma-Com­mu­nity wahr­ge­nommen werden, sind nicht im gleichen Maße betroffen wie jene, die in segre­gierten Roma-Sied­lungen in bitterer Armut leben.[4]

Die Roma-Dachorganisation ERGO (European Roma Grassroots Orga­nisa­tions Network) in Brüssel hat schon vor einigen Jahren unter dem Blick­winkel des Umwelt­rassis­mus Be­nach­teili­gungen aufgrund des Wohnortes be­zie­hungs­weise der Wohn­situation auf­gegriffen. Gemeinsam mit dem European Environ­mental Bureau haben sie auf die katastro­phale Situation von Roma-Sied­lun­gen hin­ge­wiesen. Häufig befinden sich Siedlungen in der Nähe von Industrie­anlagen, neben oder auf konta­minier­ten Böden oder in Hochwasser­risiko­gebieten. Viele verfügen auch nicht über eine aus­rei­chende Trink­wasser­ver­sorgung oder eine funktio­nie­rende Kanalisation und Müll­ent­sorgung.[5]

Giftige Dämpfe

Mit der Zunahme von Extremwetterereignissen wie Hitze und Starkregen sind diese minder­wertigen Wohn­gebiete weiteren Umwelt­einflüssen aus­gesetzt. Ein konkre­tes Beispiel aus Hamburg ver­deutlicht die Proble­matik: Roma und Rom:nija erhielten dort als „Wieder­gut­machung“ ein Grundstück auf einer ehe­ma­ligen Mülldeponie. Durch die Erd­erwärmung werden nun verstärkt giftige Dämpfe freigesetzt, die massive Gesundheits­schäden ver­ursachen.[6]

Wie verheerend wiederum die Folgen von Starkregenereignissen sein können, wurde 1998 in der ost­slowa­kischen Ortschaft Jarovnice deutlich, wo es zu starken Über­flutungen kam, von denen ins­besondere die am Fuße der Ortschaft ge­legene Roma-Siedlung betroffen war. Dutzende Häuser wurden zerstört. Mehr als 50 Men­schen starben, 40 davon Kinder aus der Roma-Sied­lung.[7] 2014 kam es infolge von Stark­regen zur Zer­störung der Roma-Siedlung Asparuhova in der bulgari­schen Stadt Varna, 14 Menschen kamen ums Leben.[8]

Aber auch indirekt können Starkregenereignisse Rassismus verstär­ken, wie das folgende Bei­spiel vom letzten Sommer aus Kroatien vor Augen führt: Während sich die Bewoh­ner:in­nen der Roma-Sied­lung Autoput vor dem heran­nahen­den Hochwasser in einer Turnhalle in Sicher­heit brachten, rissen un­bekannte Täter:innen die zurück­ge­las­senen Häuser mit Baggern nieder.[9]

Überhitzter urbaner Raum

Rassismus und Ausgrenzung erschweren häufig auch die berufliche Teilhabe von Rom:nija. Dies führt zu einer niedrigen Erwerbs­quote und folglich zu hoher Armut, wie die ein­gangs zitierte FRA-Studie aufzeigt. So lag 2021 die Erwerbs­quote bei Rom:nija in den unter­suchten Ländern bei 43%, bei der Nicht-Ro­ma-Com­mu­nity hingegen durch­schnitt­lich bei rund 70%.[10] Gleichzeitig reichen die staat­lichen Sozial­leistungen kaum aus, um das Existenz­minimum zu finan­zieren. Um ihre Lebens­situation zu verbessern, wählen betrof­fene Roma und Rom:nija ins­besondere in den zentral- und ost­europäi­schen Ländern als Ausweg die Migration in den „Westen“, unter anderem nach Österreich. Je nach vor­hande­nen Ressourcen und sozialen Netzwerken gehen sie in der Migration ver­schie­denen Beschäf­ti­gungen nach,[11] unter anderem auch informellen Tätig­keiten im öffent­lichen urbanen Raum, wie Betteln, dem Verkauf von Straßen­zeitungen oder dem Ausüben von Straßen­musik, um Geld zu verdienen.[12]

Diese Menschen sind besonders vulnerabel, da sie sich im Freien aufhalten müssen, um Geld zu verdienen. Gleich­zeitig sind sie auch darauf an­ge­wiesen, dass sich andere Men­schen, die ihnen eine Spende zukommen lassen oder eine Zeitung abkaufen, ebenfalls im öffentl­ichen Raum bewegen. Bei Hitzewellen sind jedoch weniger Passant:in­nen unterwegs und auch für die Armuts­migrant:in­nen selbst kann der Aufenthalt im über­hitzten urbanen Raum gesund­heits­gefähr­dend sein. Folglich haben sie finan­zielle Einbußen, was sich wiederum auf ihre Familien in den Her­kunfts­ländern auswirkt.

Hitzewellen

Im August 2023 gab die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) bekannt, dass in Österreich in den letzten Jahr­zehnten Hitzewellen um 50% häufiger ge­worden sind und auch länger andauern, wovon ins­beson­dere städtische Gebiete be­troffen sind.[13] Menschen, die infor­mellen Tätig­keiten nach­gehen, können jedoch bei extremer Hitze ihre Akti­vitäten nicht einfach in kühlere ländliche Regionen oder in klimatisierte Innen­räume verlegen – sie sind auf den öffentlichen urbanen Raum an­ge­wiesen, um Geld zu verdienen.

Die prekäre finanzielle Situation beeinflusst weiters auch die Möglichkei­ten, Lebensmittel zu kaufen. In der FRA-Studie wurde erhoben, dass 29% der Ro­ma-Kinder in Haushalten leben, in denen min­destens ein Mal im letzten Monat eine Person hungrig zu Bett ge­gangen ist.[14] Nehmen Extrem­wetter­ereignis­se zu, kann dies zu einem Ansteigen der Lebens­mittel­preise führen.[15] Folglich wird die Zahl der armuts­betroffe­nen Rom:nija, die an Mangelernährung und Hunger leiden, weiter zunehmen. Bereits jetzt ist im EU-Durch­schnitt die Lebenserwartung von Rom:nija um zehn Jahre kürzer als die von Nicht-Rom:nija, wie die Studie der FRA aufzeigt.[16]

Gesundheitsversorgung

Dies ist einerseits der schlechten sozioökonomischen Situation geschuldet und anderer­seits aber auch Rassismus und Dis­kriminierung im Ge­sundheits­wesen. So gaben rund 14% der Rom:nija in den unter­suchten Ländern an, dass sie in den letzten zwölf Monaten aufgrund ihrer ethnischen Zu­gehörig­keit zur Roma-Com­mu­nity Dis­krimi­nierung im Gesund­heits­wesen erfahren haben.[17] Nach wie vor gibt es in Krankenhäusern eigene nach Ethnizität (Roma vs. Nicht-Roma) ge­trennte Ab­teilungen. Werden Virus­erkran­kungen, wie Zoonosen, aufgrund der Erd­erwärmung wahr­schein­licher, werden auch die Heraus­forderun­gen für die Gesund­heits­ver­sorgung zunehmen. Ist das Gesund­heits­wesen zudem rassistisch und dis­kriminierend, werden vulnerable Gruppen einem er­höhtem Risiko ausgesetzt.

Auch dass während Hitzewellen keine Abkühlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, ist besonders für Kinder, ältere Menschen und gesund­heitlich be­einträch­tigte Personen ge­sundheits­gefähr­dend. Dies ist besonders er­schreckend, wenn es daran liegt, dass der Zugang zu Freibädern, Seen oder auch (halb-)öf­fent­li­chen klimatisierten Räum­lich­keiten wie Büchereien, Museen oder Einkaufs­zentren nicht allen gleicher­maßen offen steht. In den letzten Jahren hat u.a. das European Roma Rights Centre in Nord­mazedonien, Bulgarien, Rumänien, Spanien, Groß­britannien und der Slowakei Fälle doku­mentiert, in denen Roma und Rom:nija aufgrund ihrer ethnischen Zu­gehörig­keit der Zutritt zu öffentlichen Bädern verwehrt worden ist.[18] Diese Beispiele ver­deutli­chen, dass Ethnizität eine zentrale Kategorie sein kann, die darüber be­stimmt, ob Menschen Schutz vor Hitze erhalten oder nicht.

Allianzen bilden

Die Verknüpfung von rassistisch motivierten Praktiken und den Auswirkungen der Erderwärmung macht deutlich, dass margi­nalisierte und armuts­betroffene Roma und Rom:nija aufgrund ihrer ethnischen Zu­gehörigkeit und ökono­mischen Handlungs­fähigkeit weitaus stärker von den Folgen des Klima­wandels betroffen sind und sein werden als Nicht-Rom:ni­ja. Vor diesem Hinter­grund ist es umso wichtiger, dass Roma-NGOs und Men­schen­rechts­organi­satio­nen gemeinsam mit Klima­schutz­aktivist:in­nen und Klima­wissen­schaft­ler:in­nen Allianzen bilden, um das Bewusst­sein dafür zu stärken. Denn es gilt zu erkennen, dass Rassismus und Armut die Aus­wirkungen der globalen Erd­erwärmung auch in Europa ver­schärfen werden.

Barbara Tiefenbacher-Jami beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Frage­stellun­gen aus dem Bereich der Romani Studies. Sie promo­vierte zu Prozessen und Folgen der Selbst- und Fremd­ethni­sie­rung von Roma-Com­mu­nitys. Von 2009 bis 2021 war sie Vor­stands­mit­glied von Romano Centro – Verein für Roma in Wien. Zudem ar­beitete sie 2007/08 in einer segre­gier­ten Roma-Sied­lung in der Slowakei in einem Frei­zeit­zentrum mit armuts­betrof­fe­nen und mar­gi­nali­sier­ten Kindern und Ju­gend­lichen.


1 Fundamental Rights Agency (2022): Roma in European Countries – Main Results, Roma Survey https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf (abgerufen 27.01.2024).

2 Vgl dazu auch: Antal, Atilla (2018): Climate and social justice in Eastern and Southern Europe: The social nature of climate change (Working Paper 1), https://www.inogov.eu/wp-content/uploads/2018/08/Antal_WP1.pdf (abgerufen 03.02.2024).

3 https://www.mckinsey.com/bem/our-insights/impacts-of-climate-change-on-black-populations-in-the-united-states# (abgerufen 04.02.2024).

4 Zu den Folgen von Selbst- und Fremdethnisierungen siehe: Tiefenbacher, Barbara (2014): „Es springt so hin und her.“ Verhandlungen um ethnische Zugehörigkeiten in post-/migrantischen Romani Communitys in Österreich (Dissertation), Univ. Wien.

5 https://eeb.org/wp-content/uploads/2020/04/Pushed-to-the-Wastelands.pdf (abgerufen am 28.01.2024) Ende Jänner fand zu dem Thema auch eine Online-Veranstaltung statt: https://ergonetwork.org/2024/01/roma-and-environmental-racism-the-role-of-the-eu-strategic-framework-in-ensuring-environmental-rights-and-dignity/ (abgerufen 29.01.2024).

6 https://www.boell.de/sites/default/files/2021-12/E-Paper%20Der%20Elefant%20im%20Raum%20-%20Umweltrassismus%20in%20Deutschland%20Endf.pdf, S.14 (abgerufen 04.02.2024).

7 http://www.errc.org/roma-rights-journal/the-aftermath-of-the-summer-floods-in-jarovnice-slovakia (abgerufen 28.01.2024).

8 https://www.opensocietyfoundations.org/voices/flood-lays-bare-inequality-bulgaria (abgerufen 04.02.2024).

9 https://www.slobodnaevropa.org/a/romi-hrvatska-naselje/32573019.html und https://glaspodravine.hr/podravski-romi-bagerima-su-nam-bez-znanja-sravnili-naselje-u-kojem-smo-zivjeli/ (abgerufen 27.01.2024).

10 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf, S. 43 (abgerufen 28.01.2024).

11 Vgl. z.B. Grill, Jan (2011): From street busking in Switzerland to meat factories in the UK. A comparative study of two Roma migrations from Slovakia. In: Kaneff, Deema / Pine, Frances (Hg.): Global Connections and Emerging Inequalities in Europe, Perspectives on Poverty and Transnational Migration. London – New York – Delhi: Anthem Press, S. 79–102.

12 Benedik, Stefan / Tiefenbacher, Barbara / Zettelbauer, Heidrun, u. Mitarb. v. Edit Szénássy (2013): Die imaginierte „Bettlerflut“. Migrationen von Roma/Rom:nija – Konstrukte und Positionen. Klagenfurt/Celovec: Drava; Tiefenbacher, Barbara (2014): „Es springt so hin und her“. Verhandlungen um ethnische Zugehörigkeiten in post-/migrantischen Romani Communitys in Österreich (Dissertation), Univ. Wien.

13 https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/news/hitzewellen-laenger-und-haeufiger (abgerufen 04.02.2024).

14 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf, S. 61 (abgerufen 28.01.2024).

15 https://www.derstandard.at/story/3000000202535/climateflation-wird-der-klimawandel-zum-preistreiber-bei-lebensmitteln?ref=nl (abgerufen am 28.01.2024).

16 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf (abgerufen 28.01.2024).

17 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf, S. 49 (abgerufen 28.01.2024).

18 http://www.errc.org/news/romani-children-win-discrimination-case-after-being-denied-entry-to-a-public-swimming-pool-in-romania); http://www.errc.org/press-releases/macedonian-court-rules-against-swimming-pool-for-discriminating-against-roma; https://www.rferl.org/a/bulgaria-roma-discrimination-swimming-pools/32529839.html (alle abgerufen am 28.01.2024).

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