Razzia: „435 Roma und Ukrainer entdeckt“?

August 17th, 2023  |  Published in Medien & Presse, Rassismus & Menschenrechte

Exxpress-Screenshot des Facebook-Posts zum ArtikelExxpress.at im Faktencheck


Das österreichische Online-Me­di­um „Exx­press.at“ be­rich­te­te am Diens­tag (hier ar­chi­viert) über eine Groß­ak­tion von Po­li­zei und Be­hör­den in Deutschland. An­geb­lich 130 Po­lizis­ten kon­trol­lier­ten eine Wohn­sied­lung in Duis­burg-Frie­mers­heim. „Alle Bewohner kassieren Sozialleistungen vom Staat – alle stehen unter Betrugs­verdacht“, liest man im „Exxpress“. Und das ist gleich dop­pelt falsch. Ein Lehr­buch­bei­spiel ras­sis­ti­scher Be­richt­er­stat­tung.

Laut dem Bericht „entdeckte“ man bei der Razzia in den sechs großen Miets­häusern nicht weni­ger als „435 Roma und Ukrai­ner“. Eine ver­meint­lich schockie­rend hohe Anzahl, wie das hinzu­ge­fügte Ruf­zeichen im Vor­spann des Artikels wohl ver­deut­li­chen soll.

Großaufgebot (wegen Meldezetteln)

Nun wurden die „435(!) Südosteuropäer“ (mit der geografischen Lage der Ukraine nimmt man es nicht so genau) jedoch keines­wegs zur Über­raschung der Polizei­beamten in den Miets­häusern „ent­deckt“ (selbst diese Zahlen­angabe war falsch – es waren 430). Es handelt sich bei ihnen vielmehr um jene Personen, die laut Register­auszug in den ins­gesamt 140 Wohn­einheiten amtlich gemeldet waren. Im Durch­schnitt also rund drei gemel­dete Per­sonen pro Haushalt. Nichts daran ist un­ge­wöhnlich.

Auch für das behauptete Großaufgebot von 130 Polizeibeamten scheint keine seriöse Quelle zu exis­tieren. In Wirklich­keit leistete „die Polizei […] bei dem Einsatz ledig­lich Amtshilfe“ (siehe auch hier); die Rede ist von „Dutzenden Ein­satz­kräften der Polizei Duisburg und der Stadt“ (also nicht nur der Polizei alleine). „Es war den ganzen Morgen sehr ruhig“, kom­mentiert der Polizei­sprecher den Hilfs­einsatz.

„Alle Bewohner kassieren Sozialleistungen vom Staat – alle stehen unter Betrugs­verdacht“, liest man im „Exxpress“. Und das ist gleich dop­pelt falsch. Laut Angaben der Stadt Duisburg be­ziehen viele, aber keines­wegs „alle Bewohner“ des Wohn­komplexes staat­liche Leistungen (Quelle). Und es stehen auch nicht „alle“ unter Betrugs­verdacht, son­dern es wurden lediglich – auf­grund einer all­gemeinen Verdachts­lage – bei allen die Meldedaten überprüft. Eine groß­an­gelegte Melde­kontrolle also, nicht mehr. Der Sprecher der Stadt Duisburg stellt hierzu klar: „Der Gebäude­komplex umfasst 140 Wohn­einheiten, in dem seit Jahren eine hohe Fluk­tuation hin­sichtlich der Mieterin­nen und Mieter fest­zu­stellen ist. Ziel der Maß­nahme ist es, den aktuellen Melde­bestand mit dem tatsächlichen Be­wohner­bestand ab­zu­gleichen.“ So weit, so un­spektakulär.

Antiterroreinsatz (gegen volle Mülltonnen)

Für Medien wie „BILD“ und „Exxpress“ anscheinend zu un­spekta­kulär. Um die Meldung ein wenig auf­zu­peppen, werden daher ver­meintlich skandalöse Details vom Ort des Geschehens auf­ge­fahren. Da müssen dann sogar „übervolle Mülleimer“ (warum sorgen Ver­mieter und Stadt­ver­waltung nicht für adäquate Ent­leerung?) und an­gebliche „Luxusautos der Marke BMW“ (wem ge­hören die über­haupt und warum spielt das eine Rolle?) her­halten, um Ressen­­ti­ments an­­zu­­fachen. Nicht ab­geholte Müll­tonnen und geparkte Autos – „Exx­press“ nennt dies „brisant“.

Dass es um Stimmungsmache geht, sieht man nicht zuletzt an der Bild­auswahl: Das martia­lisch-bedrohliche Foto, mit dem man Roma und Kriegs­flücht­lin­ge als Gefahr zu stigma­tisieren ver­sucht, stammt nämlich gar nicht, wie die Leser glauben sollen, von dem aktuellen Einsatz, sondern ist fast acht Jahre alt. Es handelt sich um ein Agentur­bild aus dem Archiv und zeigt ver­mummte Be­waffnete des SEK am 15. Dezember 2015. Aller­dings nicht bei der Über­prüfung von Melde­papieren, sondern bei einem Anti­terror­einsatz zum Schutz des Bundes­gerichts­hofs in Karlsruhe. Für das Ab­gleichen von Meldedaten in einer Wohn­anlage braucht es weder Ma­schinen­pistolen noch Kampf­montur.

Massenfestnahmen (von vier Personen)

„Exxpress“ hat offenbar einfach deutsche Medienberichte (hier) abgeschrieben, wenn auch mit inhaltlichen Ver­fäl­schun­gen: Gab es in Summe gerade einmal „vier vor­läufige Fest­nahmen“ („haben keine Papiere dabei oder sind illegal in Deutschland“), was auch amtlich bestätigt wurde, macht „Exxpress“ daraus einen „Ge­fan­genen­transport“, der sich während des Polizei­ein­satzes „immer weiter füllt“.

Inzwischen haben die Behörden die Bilanz der Kontrolle von Hunderten Per­sonen bekannt ge­geben. „27 Menschen wurden von Amts wegen ab­gemeldet, weil sich heraus­gestellt hat, dass sie nicht mehr dort wohnen“, berichtet der WDR. „Die Unter­suchungs­ergeb­nisse werden nun an ver­schiedene Behörden, etwa die Familien­kasse, weiter­geleitet. Diese prüfen dann welche Leistungen be­zogen wurden, die ge­gebenen­falls eingestellt werden“, heißt es in der Stellung­nahme der Stadt Duisburg. Ob und bei wie vielen von ihnen tat­sächlich Sozial­leistungs­betrug vorliegt, ist erst zu klären. In der Wohn­siedlung wurden zudem 86 wei­tere Personen an­getroffen, die dort nicht ge­meldet sind (und die unter dieser Melde­adresse folglich auch gar keine Sozial­leistungen be­ziehen können).

Nicht einmal ausreichend überbelegte Mietwohnungen gab es, die der städtischen Wohnungs­aufsicht einen minimalen Anlass zum Ein­schreiten geboten hätten. Immerhin wurden vor­bereitete Voll­streckungs­aufträge für un­bezahlte Rech­nungen ab­gearbei­tet und, horribile dictu, eine Reihe von Park­verstößen fest­ge­stellt; vier un­erlaubt ab­ge­stellte Fahrzeuge wurden ab­ge­schleppt. Viel Lärm um nichts also.

1,1 Millionen Förderung (und noch immer nicht genug)

Für journalistische Berichterstattung dieser Machart erhält „Express“ öffent­liche Mittel, und zwar reichlich: „Rund 1,1 Millio­nen Euro an Förderun­gen“ waren es 2022, wie der Me­dien-Watch­blog Kobuk recher­chiert hat: „Den größten Teil, näm­lich über 700.000 Euro, [bekam Exxpress] aus dem Digita­lisie­rungs­fonds, wobei davon 44.000 Euro für eine Lehr­redaktion vor­gesehen waren.“ Und das, obwohl reine On­line-Medien in Österreich gar nicht förder­berech­tigt sind. Mög­lich ist das durch eine aus­ge­klügelte Medien-Kon­struk­tion: indem nämlich gar „nicht die Website Exxpress.at För­der­nehmer ist, sondern der Fernseh­sender Exx­press-TV. Das Video-Kas­terl, das sich bei Abruf der Website am unteren Rand auto­matisch öffnet, ist [...] auch analog em­­pfangbar. Für diesen Sender be­kommt Exxpress weitere knapp 400.000 Euro aus dem Privat­rundfunk­fonds. Das heißt: Exxpress be­kommt Förder­gelder dafür, einen Fernseh­sender zu betreiben, und qua­li­fiziert sich somit noch deutlich mehr Förder­gelder zu bekom­men, um diesen Fernseh­sender zu digi­ta­lisieren.“

Doch damit nicht genug: „Im vierten Quartal 2022 hat der Exxpress außerdem erstmals Inserate in melde­pflich­tiger Höhe aus einem Bundes­ministerium be­kommen. Das Ver­teidigungs­minis­terium (Anm.: ÖVP) inserierte für über 16.000 Euro. Der Trend zeichnete sich auch im ersten Quartal 2023 ab: Das Bundes­kanzler­amt (Anm.: ÖVP) und das Finanz­mi­niste­rium (Anm.: ÖVP) buchten erst­mals Inserate.“

(Text: dROMa)

Siehe auch:
Die Masche der Bild-Zeitung, 15.3.2020

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