Diskriminierung und Rassismus in Schulbüchern

Juli 11th, 2023  |  Published in Dokumente & Berichte, Jugend & Bildung, Rassismus & Menschenrechte, Wissenschaft

Meral El: Meral El (2023) Diskriminierungskritische Analyse von Schulbüchern im Land Bremen, Juni 2023

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Wessen Geschichte wird wie erzählt? Für die Landes­zentrale für politi­sche Bildung Bremen hat die Kultur­wissen­schaft­le­rin Meral El ver­gan­genes Jahr eine exemp­la­rische Be­gut­achtung von Schul­büchern im Land Bremen durchgeführt. In der 40-sei­tigen Studie unter­sucht Meral El entlang einer dis­kri­minie­rungs- und rassis­mus­kriti­schen Analyse Schulbücher für den Bereich Gesell­schaft und Politik, die im Land Bremen für die Klassen 9 und 10 an Ober­schulen und Gymnasien zu­ge­lassen sind. Mit Verweis auf zahl­reiche Text- und Bild­beispiele zeigt die Studie exempla­risch auf, in welcher Art und Weise rassistische, anti­semitische und dis­kriminie­rende Diffe­renz­konstruk­tionen und Be­deutungs­zusammen­hänge fort­ge­schrieben werden. Die Autorin formuliert Fragen und Empfeh­lungen, wie alle Beteiligten, die mit Bildungs­medien arbeiten oder an Er­stellung und Auswahl be­teiligt sind, dis­kriminie­rungs­rele­vante Wissens­bestände und Bezüge besser ver­stehen, irritieren und vermeiden können. Im Rahmen des Pro­jektes wurden Gespräche mit Ex­pertinnen und Experten aus Schule, Verwaltung, Wis­senschaft und Zivil­gesell­schaft in Bremen und Bremerhaven ge­führt, sowie im Mai 2023 ein Fach­gespräch im Deutschen Aus­wanderer­haus, welches als dialo­gische Dokumen­tation Teil der Publi­kation ist. Aus dem Bericht:

Die vorliegende Analyse zeigt, dass sich in fast allen untersuch­ten Schulbüchern implizit oder explizit anti­semitische, rassis­tische, sinti- und roma­feindliche, frauen- und queer­feind­liche Inhalte und Abbil­dun­gen finden. Ansätze dafür, Gesell­schaft und gesell­schaft­liche Diskurse diskri­minie­rungs­sensibel sowohl in Geschichte als auch in Gegen­wart dar­zu­stellen, bleiben punktuell. […] Allgemein ist festzuhalten, dass sehr wenig auf Sinti:zze und Rom:nja in den unter­suchten Schul­büchern ein­ge­gangen wird. Das Auslassen ist eine Vehe­menz der rassisti­schen Dis­krimi­nierung, die extreme Aus­wirkung [...] hat. […] Gruppen, die diskriminiert werden, finden sich in Zuschreibun­gen und Positio­nierun­gen in der sprach­losen Opfer- und Ob­jekt-Rol­le. […] Die Fort­schreibung der hierarchi­schen Positio­nie­rung als sprach­lose Opfer, als Unter­legene, als Er­mordete oder als Über­lebende, denen nach­träglich die Würde durch den kon­tinuier­li­chen Außen­blick ge­nommen wird, zieht sich durch alle ge­prüften Schul­bücher hindurch. Die „mehr­perspek­ti­vi­sche Dar­stellung“ […] wird hier verfehlt. So wird ein homo­genes fremd­gemachtes, distan­ziertes Bild über Jüdin­nen:Ju­den, Schwarze, Sinti:zze und Rom:nja und People of Color re­pro­duziert. Die Com­mu­nities und Re­alitäten waren und sind plural und divers. Sie werden jedoch in Schul­büchern vor­herr­schend als homo­gene Gruppe prä­sentiert, die nur in der Ver­gangen­heit verortet und sicht­bar ge­macht werden.

Hier stellen sich die folgenden Fragen: Wer schreibt mit welchem Wissen und wel­cher Ex­pertise und Perspek­tive diese Schulbücher? Wer definiert, wer Jüdin­nen:Ju­den, Schwarze, Sinti:zze, Rom:nja und People of Color waren und sind? […] Welche Texte und Abbil­dungen werden ver­wendet und warum? […] Ins­gesamt gibt es kaum Bilder von NS-Über­le­benden, vor allem von Sin­ti:zze und Rom:nja, welche nicht alleinig in ihrem Kontext als NS-Opfer dar­gestellt werden. Im Falle der Er­wähnung und Abbil­dung von Sinti:zze und Rom:nja ist selten ein dif­feren­zier­ter Blick zu er­kennen oder die Nutzung von Selbst­aussagen.

[…] Der Widerstand von Schwarzen, Jüdinnen:Juden, sowie Sinti:zze und Rom:nja [findet] kaum bis gar keine Erwähnung. Das sind nicht bewusste Ent­schei­dungen, doch Aus­lassungen und Formen des Erzählens sind Teil rassis­tischen und anti­semiti­schen Wissens. Hier­durch entsteht eine Fort­schreibung von (un-)be­wuss­tem Nicht-Wissen.

Meral El berät und forscht zu den Themen Antidiskriminierung, Bildung, Teilhabe und Rassismus. Meral El war zuvor Ge­schäfts­führerin des bundes­weiten Netzwerks „neue deutsche Or­ganisa­tionen – das post­migran­tische Netzwer“” mit 170 Netz­werk­mit­gliedern und arbeitete u.a. mit der Open Society Justice Initiative, im Jüdischen Museum Berlin und bei Save the Children. Ge­mein­sam mit Karim Fereidooni gab sie 2017 den Sammel­band „Rassismus­kritik und Wider­stands­formen“ heraus.

(Text: Landeszentrale Bremen)

Siehe auch:
Facts & Figures (397), 28.10.2021
Online: Schulbücher und Antiziganismus, 28.9.2021
Riem Spielhaus über Roma in Schulbüchern, 24.3.2020
Studie über Roma in Schulbüchern
, 15.2.2020

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