Trauer um Michael Racz (1932–2023)

März 29th, 2023  |  Published in Ehrungen & Nachrufe, Geschichte & Gedenken

Trauer um Michael Racs (Foto: Amari Historija, hrsg. von Roma-Service, 2016)Der Oberwarter Altbürgermeister Michael Racz, geb. 1932 in Groß­peters­dorf, ist im 91. Le­bens­jahr ver­storben.

Wir bringen im Gedenken einen Auszug aus dem Begleit­text zu einem Inter­view von 2010, er­schienen 2016 in unse­rem Zeit­zeugen­band „Amari Historija. Bur­gen­länder er­zählen. Eine Zeit­zeugen­doku­men­ta­tion von Roma-Service“:

Michael Racz wurde 1932 in Großpetersdorf im südburgenländi­schen Bezirk Oberwart ge­boren. Er wuchs inner­halb der Familie aus­schließ­lich ungarisch­sprachig auf und erwarb sich bis zum Eintritt in die Schule zwar alltags-, aber nicht unter­richts­taug­liche Deutsch­kennt­nisse. Schwierig ge­staltete sich der Schul­einstieg auch deshalb, weil seine eltern kurz zuvor auf­grund der politischen Umstände ge­zwungen gewesen waren, von Großpetersdorf ins be­nach­barte Rechnitz zu über­siedeln. Michael Raczs Vater, ein selbstän­diger Schuhmacher, machte aus seiner Über­zeugung kein Hehl und trat offen gegen die Ver­folgung der jüdischen Be­völkerung durch das auf­kommende Naziregime ein. Nachdem er bei der NS-„Volks­abstim­mung“ im April 1938 gegen den „Anschluss“ votiert hatte, wurde er ver­haftet und für einige Tage ein­gesperrt. ein Schock für den gerade sechs­jährigen Michael, der nicht nur seinen Vater gefährdet sah, sondern auch seine ver­traute Um­gebung verlor: „Für mich war es dann sehr schwer. Ich bin krank gewor­den. Wahr­scheinlich war das auch psycho­somatisch. [...] Ich hatte es deshalb schwer, weil ich nicht gut Deutsch konnte.“

Die Erfahrung, einer Minderheit anzugehören, prägten Michael Raczs Kindheit ebenso sehr wie das Ein­treten seiner Eltern für ihre humanis­tische Ge­sinnung: „Mein Vater war eher [...] links­gerichtet, und er hat seine Ablehnung des Regimes aus seiner politi­schen Über­zeugung heraus genährt, wäh­rend meine Mutter [...] aus ihrer christlichen Über­zeugung heraus ge­handelt hat und die natio­nal­sozialis­tische Ideologie ab­gelehnt hat.“ Dem­ent­spre­chend von Toleranz geprägt waren auch die Kontakte der Familie zu Roma. Es herrsch­te Michael Racz zu­folge ein Gefühl des „Helfen­müssens“ an­gesichts der immer drücken­der ge­wordenen Ver­hältnisse Ende der 1930er Jahre.

In den Kriegsjahren wurde dann die Mutter zur alleinigen Bezugs­person. Es gelang ihr nicht nur, die soziale Not so gering wie möglich, sondern auch ihren Sohn von national­sozialis­ti­schen Ein­flüssen weit­gehend fern­zu­halten. Nicht ersparen konnte sie ihm aller­dings jene Er­fahrun­gen, die der er gegen Ende des Krieges und in der ersten Nach­kriegs­phase machen musste: Im Frühjahr 1945 zogen die Todes­märsche ungari­scher Juden durch die Region, und wenig später musste er mit­ansehen, wie sein Vater gerade noch mit dem Leben davonkam, als ein – ver­mutlich be­trun­kener – sowjetischer Be­­satzungs­soldat plötzlich die Waffe auf ihn richtete.

Michael Racz absolvierte in dieser Zeit zuerst die Haupt- und anschlie­ßend die Handels­schule. er ließ sich in Oberwart nieder, wurde Finanz­be­dienste­ter und gründete eine Familie. Mit fünfzig wurde er Bürger­meister der Geburts­stadt seines Vaters und blieb dieser Funktion die nächs­ten zwanzig Jahre treu. „Ich wollte ja nie in die Politik. Das Humane hat mich dazu be­wogen, und zwar deshalb, weil ich der Über­zeugung war, dass man nicht nur reden und alles besser wissen, sondern sich zur Ver­fügung stellen soll.“

In die Amtszeit des ÖVP-Bürgermeisters (1982–2001) fiel auch das dunkelste Nachkriegs­kapitel der Bezirks­haupt­stadt: Bei einem Bomben­attentat in der Nähe der Oberwarter Roma-Siedlung kamen am 4. Februar 1995 vier Roma ums Leben. „Für mich war das zunächst un­glaublich. Wenn mir das jemand vorher so ge­schildert hätte, hätte ich gesagt, das kann in Oberwart nicht pas­sieren.“ Auch wenn der Attentäter nicht aus der Um­gebung stammte, stand in den darauf fol­genden Monaten die prekäre Situation der Roma und das Zu­sam­men­leben der Volks­gruppen in Oberwart im Blick­winkel einer inter­natio­nalen Öffentlich­­keit. Michael Racz sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Stadt habe die Roma sys­tematisch dis­kriminiert und damit an den Rand gedrängt. Ein für den lang­jährigen Bürger­meister bis heute nicht nach­voll­zieh­barer und schmerz­hafter Vorwurf, stellte er doch das Herzens­anliegen des „wer­denden Burgen­land-Ungarn“ – das fried­liche Mit­einander der Volks­gruppen – nach­haltig in Frage.

(Text: Roma-Service)

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