Kardinal fordert Schuldbekenntnis der Kirche

Februar 17th, 2023  |  Published in Geschichte & Gedenken, Religion

Kardinal Reinhard Marx (Foto: Dermot Roantree/Wikimedia CC)Deutschland: Romani Rose und Kardinal Reinhard Marx trafen sich in Hei­del­berg im Doku­men­ta­tions- und Kul­tur­zentrum Deut­scher Sinti und Roma: Die his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung der katho­li­schen Kirche in Be­zug auf Sinti und Roma soll auf­ge­ar­bei­tet werden. Be­reits im Jän­ner hat­te der Rat der Evan­ge­li­schen Kirche in Deutsch­land eine Er­klä­rung ver­öf­fent­licht (mehr hier und hier).

Kardinal Marx besuchte auf Einladung von Romani Rose, Vorsitzen­der des Zentral­rats Deutscher Sinti und Roma, am 7. Februar 2023 das Doku­menta­tions-und Kultur­zentrum Deut­scher Sinti und Roma in Heidelberg. Nach einem Gang durch die stän­dige Aus­stellung des Zentrums über den Holocaust an 500.000 ermor­de­ten Sinti und Roma im NS-be­setzten Europa waren sich Kardinal Marx und Roma­ni Rose über die Dring­lich­keit der Auf­arbei­tung der Rolle der Kirche während der Zeit des Natio­nal­sozialis­mus einig.

Anlass des Besuchs von Kardinal Marx war die Frage einer Würdigung der Intervention von Oskar Wilhelm Rose am 5. April 1943, der unter Lebens­gefahr und fal­schem Namen bei Kardinal Faulhaber in des­sen Münchner Residenz vor­sprechen und die katholi­sche Kirche um Hilfe bitten wollte.

Am 16. Dezember 1942 hatte der Reichsführer SS Heinrich Himmler mit dem Auschwitz-Er­lass an­ge­ordnet, alle noch im Deutschen Reich leben­den Sinti und Roma in das Kon­zentrations-und Ver­nichtungs­lager Auschwitz zu depor­tieren. Kardinal Faul­haber war nicht bereit, Oskar Rose zu empfan­gen, hielt jedoch dessen Besuch im Erz­bischöf­lichen Palais in seinem jetzt zu­gäng­lichen Tagebuch fest: „Bei Sekretär ein Zigeuner, namens Adler, katholisch – Die 14.000 Zigeuner im Reichs­gebiet sollen in ein Lager ge­sammelt und sterilisiert werden, die Kirche soll ein­schreiten. Will durchaus zu mir. – Nein, kann keine Hilfe in Aus­sicht stellen.

Zentralratsvorsitzender Rose: „Der Satz in Faulhabers Tagebuch beweist die mutige Initiative meines Vaters und erscheint mir daher wie ein Sinnbild für das mora­lische Versagen der dama­ligen Kirchen­führung, von der sich die mehr­heitlich katholi­schen Sinti-Fa­milien an­gesichts der drohenden Ver­nichtung ver­geblich Schutz und Beistand er­hofften. Wie wir heute wissen, hatten die katholi­schen Bischöfe zu dieser Zeit genaue Kenntnis von der Dimension der Ver­nichtung unserer Minder­heit. Die Er­innerung an die Initia­tive von Oskar Rose durch das An­bringen einer Gedenktafel am Erz­bischöfli­chen Palais wäre ein wich­tiges Bekenntnis von Seitens der Kirche, um verloren ge­gange­nes Vertrauen wieder­auf­zubauen.“

„Es ist wichtig, an diese Form des Widerstands zu erinnern und ich stehe einer Gedenktafel offen gegen­über. Der mutige Versuch von Oskar Rose und die Nicht­wahr­nehmung und Sprach­losigkeit der Kirche können Aus­gangs­punkt sein für eine um­fassende historische Unter­suchung des Ver­hältnisses der katho­lischen Kirche zu Sinti und Roma. Für mich ist das Ziel die Auf­arbeitung der Geschichte, aber auch die daraus er­wachsene Ver­antwortung und ein öffent­liches Schuld­bekenntnis der Kirche. Als Kirche haben wir hier einen Auftrag, den wir bisher nicht ein­gelöst haben. Da sehe ich mich als Nach­folger von Kar­dinal Faulhaber in einer beson­deren Ver­ant­wortung“, so Kardinal Marx.

„Ich freue mich über die Bereitschaft und Offenheit des Kardinals, das Gespräch mit dem Zentralrat zu suchen. Die wissen­schaft­liche Auf­arbeitung des Antiziganismus, wie sie weltweit erst­malig an der Uni­versität Heidelberg durch eine eigene histo­rische Forschungs­stelle institu­tionell ver­ankert wurde, halte ich für das Bewusst­sein in Kirche und Gesell­schaft für außer­ordentlich wichtig. Das an­gestrebte Forschungs­projekt kann hier einen wichtigen Meilen­stein dar­stellen.“, so Dr. h. c. Manfred Lautenschläger, der Vor­sitzende des Kura­toriums des Doku­menta­tions- und Kultur­zentrums Deutscher Sinti und Roma.

Kardinal Marx und der Zentralrat treten für einen strukturierten Dialog auch mit der Deutschen Bischofs­konferenz ein und setzen sich dafür ein, ein un­ab­hän­giges Forschungs­projekt auf den Weg zu bringen, das sich mit der Frage der Schuld und dem Versagen der Kirche gegen­über Sinti und Roma aus­einan­dersetzt.

An dem Gespräch mit Kardinal Marx nahmen außerdem Erich Schneeberger, der Vor­sitzende des Landes­ver­bandes Deutscher Sinti und Roma in Bayern, und Dotschy Reinhardt von Seiten des Doku­men­tations- und Kultur­zentrums Deut­scher Sinti und Roma teil.

(Text: Zentralrat)

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