Internet: Genug vom Hass
Dezember 30th, 2022 | Published in Internet & Blogothek, Rassismus & Menschenrechte, Recht & Gericht, dROMa (Magazin)
Roma-Freiwillige packen jetzt selber an
Sie wollen den Hass, der das Internet überwuchert, nicht mehr länger hinnehmen: Rund zwanzig junge Romnja und Roma haben sich in Tschechien zusammengefunden, um den Kampf gegen Hasskommentare selbst in die Hand zu nehmen. Nicht-Roma helfen mit.
Die Freiwilligen, meist Studierende, haben es sich zur Aufgabe gemacht, diskriminierende Äußerungen über ihre Minderheit zu dokumentievren und zu melden. Und so scrollen und klicken sie sich nun durch Internet-Plattformen und Soziale Medien, beobachten Facebook-Gruppen und überwachen Online-Foren.
Den ursprünglichen Plan, zugleich auch eine neue Monitoring-Gruppe in der Ukraine zu installieren, machte der Krieg zunichte. In Rumänien und Bulgarien hingegen ist im Frühjahr erfolgreich ein weiteres Projekt angelaufen. Auch dort werden Aktivisten aus den Roma-Gemeinschaften zwei Jahre lang, online und offline, Datenmaterial über Hate Speech zusammentragen.
Parallelaktion
Beide Initiativen entstanden unter dem gemeinsamen Dach von European Roma Rights Centre (ERRC) und Forum for Human Rights. Ähnliches hat man sich nun auch in der Slowakei vorgenommen. Für die Umsetzung holte man erfahrene Partnerorganisationen vor Ort (Romea in Tschechien bzw. RomaJust und EOA in Rumänien und Bulgarien) mit an Bord. Finanzielle Unterstützung kommt von der Stiftung EVZ in Deutschland.
Hier wie dort geht es um Monitoring und die Sicherung von Beweismaterial – und nicht zuletzt darum, die Kräfte von Freiwilligen und Juristen zu bündeln, um die Opfer von Hass und Hetze zu verteidigen. Die Rechtsexperten der Trägerorganisationen haben juristische Strategien zur Bekämpfung von Hassreden im Internet ausgearbeitet, die nun an konkreten Fällen getestet werden sollen. Die freiwilligen Roma arbeiten den Anwälten hierbei in die Hände, dokumentieren die Verstöße und schaffen so die Beweisgrundlage für rechtliche Schritte.
Warnsignal
Dabei hat man nicht nur einzelne Täter im Visier. Vor allem will man auch die Plattformen, die Hassposter gewähren lassen, endlich in die Pflicht nehmen. Auf diese Weise werde man, so das ERRC, „eine kritische Masse an Fällen und Beschwerden erreichen, um eine öffentliche Debatte in Gang zu bringen und ein Warnsignal auszusenden, dass das Verbreiten von Hass seinen Preis hat“. Nur so könne man die „Normalisierung rassistischer Vorurteile im öffentlichen Raum“ durchbrechen.
Im beispielgebenden Engagement der Freiwilligen sehen die Initiatoren „das Potenzial, Vertrauen in den Roma-Gemeinschaften aufzubauen, um Einzel- und Massenklagen einzureichen und die Menschen zu mobilisieren, gegenüber Diskriminierung nicht gleichgültig zu bleiben“. Darüber hinaus entwickeln die jungen Romnja und Roma auch Inhalte, Gegenerzählungen und Strategien, um der „Verbreitung von Fehlinformationen, gefährlichen Mythen und Falschmeldungen über Roma“ schon in den Online-Foren wirksam entgegenzutreten.
Gegenrede
Die Freiwilligen-Projekte bauen auf den Erfahrungen des ERRC bei der Bekämpfung der digitalen Romafeindlichkeit in Albanien, Serbien, der Türkei und der Ukraine auf. Sie zielen darauf ab, ein digitales Netz von Roma-Aktivisten aufzubauen, die international zusammenarbeiten, um rassistischen Kampagnen und gefährlicher Rhetorik entgegenzuwirken. Andrea Despot, Vorstandsvorsitzende der Stiftung EVZ, hebt gerade diesen „grenzüberschreitenden, partizipativen und strategischen Ansatz“ hervor: „Hate Speech im Netz endet nicht an Ländergrenzen, Gegenrede sollte es auch nicht. Die Freiwilligen schreiben gegen diskriminierende Posts an und schaffen damit Bewusstsein für Ausgrenzung von Romnja und Roma und Handlungsoptionen gegen Antiziganismus – online wie offline.“
Dabei geht es um viel mehr als nur um rassistische Postings, denn Online-Äußerungen haben mitunter sehr reale Konsequenzen: „Es besteht oft ein sehr direkter Zusammenhang zwischen Hassreden im Internet und realen Hassverbrechen gegen Roma“, erklärt ERRC-Präsident Đorđe Jovanović. „Hasskommentare im Internet sind nicht nur ein Abbild des Antiziganismus im Netz, in vielen Fällen stiften sie sogar zu weiteren Verbrechen gegen Roma an – vor allem, wenn sie von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens stammen, die den Anti-Roma-Hass für politische Zwecke nutzen. Unsere Roma-Aktivisten sind die Antwort darauf: Sie gehen gegen diejenigen vor, die Hass schüren, und gegen diejenigen, deren Pflicht es wäre, ihn zu beseitigen.“
Die Härte des Gesetzes
Neuen Auftrieb erhielten diese Bemühungen in Tschechien zuletzt durch ein richtungsweisendes Urteil des Höchstgerichts: „Hasskommentare im Internet müssen, als eine Form von Hassrede, in einer demokratischen Gesellschaft bekämpft werden, in schweren Fällen auch durch das Strafrecht“, heißt es in der Urteilsbegründung. Ein Mann hatte ein Facebook-Foto einer Volksschulklasse, auf dem Roma-Kinder zu sehen sind, mit einer als Scherz verpackten Holocaust-Anspielung versehen: „Sie kommen aus der Grundschule Plynárenská [Gaswerk]. Da liegt die Lösung auf der Hand.“
„Ich denke, dass dieses Projekt wirklich wichtig ist, weil es zeigt, wie gefährlich das Internet sein kann“, sagt Veronika Banová, eine der Freiwilligen und Jusstudentin in Pilsen. „Ich bin wirklich übervrascht, dass es so viele Hassreden gegen Romnja und Roma gibt, besonders jetzt, wo Roma-Flüchtlinge aus der Ukraine in die Tschechische Republik kommen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Grausamkeit der Menschen, die Hassreden auf Facebook posten, aus der Frustration ihres eigenen Lebens kommt. Es muss mehr darüber berichtet werden, und es muss auf diesen sozialen Websites mehr kontrolliert werden. Ich denke, dass es mehr Projekte wie dieses geben muss.“
Von Roman Urbaner
Aus: dROMa 67, Herbst/Terno dschend 2022
(→Themenheft/temakeri heftlina Internet)