Welt-Roma-Tag im Parlament

April 8th, 2022  |  Published in Politik, Veranstaltungen & Ausstellungen

Diskussionsveranstaltung zum Welt-Roma-Tag. Roma-Strategie 2030 (© Parlamentsdirektion/Johannes Zinner)Roma: Einsatz der EU für mehr Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe: Diskussionsveranstaltung zur Roma-Strategie 2030 der Euro­pä­i­schen Union im ös­ter­rei­chi­schen Par­lament

Der erste Welt-Roma-Kongress 1971 in London gilt als der Beginn der Roma-Bür­ger­rechts­bewe­gung. Seit­­dem finden am 8. April welt­weit Aktions­tage statt, um auf die Anliegen der Roma auf­merk­sam zu machen. An­läss­lich des Welt-Ro­ma-Tages lud Natio­nal­rats­prä­sident Wolfgang Sobotka heute zur Diskus­sions­ver­anstaltung „Ro­ma-Stra­tegie 2030“ im Parlament in der Hofburg. Ex­per­tin­nen und Ex­perten sprachen dabei über die euro­päi­sche Situa­tion der Volksgruppe.

Die Roma-Strategie 2030 der EU formuliert die Ziele der Gleich­stellung, Inklu­sion und Teil­habe der Roma und fokus­sierte dabei auf die Bereiche Bildung, Be­schäfti­gung und Wohnen. Um die Ziele des EU-Rahmens in allen Mit­glied­staaten zu er­reichen, sei es von ent­scheiden­der Be­deutung, dass die rich­tigen Maß­nahmen er­griffen werden, um eine Ver­besserung für die Volks­gruppe der Roma in Europa zu bewirken, so der Tenor der Ver­anstaltung. Der wissen­schaft­liche Leiter des Doku­men­tations­archivs des öster­rei­chischen Wider­standes (DÖW) Gerhard Baumgartner be­grüßte alle Teil­neh­merIn­nen, in­klusive des „Diknu Schneeberger Trios“, das für musika­lische Be­gleitung sorgte.

Bogensberger: Europa noch weit von Gleich­be­rech­ti­gung der Roma ent­fernt

Als Einführung zum Thema unterstrich Wolfgang Bogensberger von der Ver­tretung der Euro­päischen Kom­mission in Österreich den großen Nachhol­bedarf, den die Euro­päische Union hin­sichtlich voll­ständiger Gleich­berechtigung der Roma hat. Dabei bilden Bogens­berger zu­folge die unter dem Ober­begriff „Roma“ zusammen­gefassten Mit­glieder ver­schiedener Gruppen – neben Roma und Sinti unter an­derem auch Kalé, Romanichals, Dom und an­dere – die größte ethni­sche Minder­heit Europas: „In der EU und in der Er­weite­rungs­region leben etwa 10 bis 12 Millio­nen Roma – also mehr, als Öster­reich Ein­wohner hat.“

Bevor der Repräsentant der Europäischen Kommission auf konkrete Ziel­setzun­gen und Maß­nahmen der EU-Strategie zu bes­seren Inklusion der Roma ein­ging, wies er an­gesichts des grau­samen russischen Angriffs­kriegs in der Ukraine auf die große Be­deu­tung solidarischer Hilfe­leistun­gen für die ukrainischen Flüchtlinge hin, unter denen sich auch viele Roma be­fänden. Auch wenn diese Per­sonen nicht über die nötigen Ausweis­papiere ver­fügten, sei wichtig, dass der vorüber­gehende Schutz mit all seinen Rechten auch für ukraini­sche Roma gilt. Die Europäi­sche Kommission un­ter­stütze die EU-Mitglied­staaten dabei auch finan­ziell. Es gelte, „gleich­berech­tigten Zugang zu humani­tären Hilfs­maß­nahmen zu sichern; das ist ein wichtiges, gemein­sames europäi­sches Anliegen“, so Bogens­berger. Immer­hin seien benach­teiligte Minder­heiten in Krisen­zeiten am stärksten be­troffen.

Unabhängig vom Kriegsgeschehen und trotz rechtlicher Vorkehrun­gen erleben Europas Roma weiter­hin Dis­kriminie­rung im Alltag, wies der Europa­rechts­experte auf Vor­urteile gegen diese Be­völkerungs­gruppe hin, die zur ökono­mischen sowie sozialen Aus­gren­zungen führten. Ob­wohl von der EU zwi­schen 2014 und 2020 über 21,5 Mrd. € zur Integra­tion der Roma auf regionaler Ebene bereit­gestellt wurden, habe sich an der Situa­tion kaum etwas ge­ändert, zeigte Bogens­berger anhand von statisti­schen Daten auf. Vorbehalte gegen Roma seien im Großteil der Mehrheits­bevöl­kerung weiterhin vor­handen, um­gekehrt seien Roma mit Margina­lisierung und Armuts­gefährdung kon­frontiert. Aller­dings würden mittlerweile immerhin 61% der Europä­erIn­nen eine bessere Inklusion der Roma be­grüßen, sieht Bogens­berger einen Hoff­nungs­schimmer.

Roma-Strategie 2030 soll Gleich­stel­lung, In­klusion und Par­tizi­pa­tion er­reichen

2021 schlug die Europäische Kommission den EU-Mitglieds­staaten auf Grund­lage des strategi­schen Rahmens für Roma bis 2030 konkrete Maß­nahmen vor, um mehr für Gleich­stellung, Inklusion und Teilhabe der Roma zu tun. Wie Kom­missions­vertre­ter Bogens­berger skiz­zierte, umfasst dieser vom Rat der EU ein­stimmig an­ge­nom­me­ne Maß­nahmen­plan die Bereiche Dis­krimi­nierungs­prä­vention, Be­kämpfung von Armut und Aus­grenzung, Teilhabe an der Zivil­gesellschaft, Bildung, Be­schäf­tigung, Gesundheits­dienste und Wohnraum. Unter an­derem sollten die EU-Länder mit nationa­len Strategien daran arbeiten, Unter­schiede bei höheren Bildungs­abschlüssen und bei Wohnungs­not zwi­schen Roma und dem Rest der Bevöl­kerung um min­destens ein Drittel zu reduzieren. Mit Sen­sibili­sie­rungs­kam­pagnen an Schulen solle Dis­krimi­nie­rungs­tendenzen vor­gebaut werden. Armuts­gefährdung unter Roma sei zu halbieren, der Zugang zu Wasser für Mit­glieder der Volks­gruppe sei auf 95% zu heben.

Neben Orientierungs- und Koordinierungshilfen bei der Umsetzung bietet die Europäi­sche Kom­mission laut Bogens­berger den Mit­glied­staaten auch finanzielle Unter­stützung an: „Die Gleich­stellung, Inklusion und Parti­zipation von Roma ist im Rahmen des mehr­jährigen Finanz­rahmens für die Jahre 2021–2027 als Quer­schnitts­materie berück­sichtigt.“ Mit regel­mäßigen Evaluierungen werde die Kom­mission den Grad der Ziel­erreichung in den EU-Ländern be­werten. Abschließend hob er noch den Preis für lokale Behörden hervor, den die EU-Kom­mission zur För­derung der In­tegra­tion der Roma ins Leben gerufen hat, die „Europäische Hauptstadt für Inklusion und Vielfalt“. Mit all diesen Maß­nahmen wolle man im Sinne der Vielfalt der Union bis 2030 er­reichen, dass die Roma sich gleich­berechtigt mit allen politischen, sozialen und wirtschaft­lichen Mög­lich­keiten in der Gesell­schaft ein­bringen können.

Podiumsdiskussion zu Schwerpunkten einer Ro­ma-Stra­te­gie für Öster­reich

In die Podiumsdiskussion führte der Historiker Gerhard Baumgartner mit der Be­merkung ein, dass die Roma-Strategie 2020 offen­bar sehr viele Ziele nicht er­reicht habe. Er richtete an die Teil­neh­merInnen der Diskus­sion die Frage, was aus ihrer Sicht ge­schehen müsse, damit die neue Strategie mehr Erfolg habe. Er sprach dabei die Frage der Be­kämpfung von Vor­urteilen, Bildung sowie politi­sche und soziale Teilhabe an.

Emmerich Gärtner-Horvath, Vorsitzender des Volksgruppen­beirates der Romnja und Roma betonte, dass die Roma-Stra­tegie 2020 in Österreich einige Erfolge auf­weisen könne, etwa im Bereich der Medien und der Zu­sammen­arbeit der Volks­gruppen. Wichtig sei aus seiner Sicht, dass Roma als Teil der öster­reichi­schen Geschichte wahr­ge­nommen werden. Eine offene Frage sei dabei die Errichtung eines zentralen Denkmals für die wäh­rend der NS-Zeit er­mordeten Mit­glieder der öster­reichischen Volks­gruppe der Sinti und Roma. In diesem Zu­sammen­hang über­reichte Gärtner-Horvath National­rats­präsi­dent Sobotka ein Positions­papier zu der Frage der Er­rich­tung eines Denkmals.

Danijela Cicvarić vom Verein Romano Centro betonte, dass Bildung einen wesent­li­chen Faktor für die Ver­besserung der Situa­tion der Volks­gruppe dar­stelle. Aller­dings gebe es vor allem für Kinder mit Migra­tions­hinter­grund zu wenig Unter­stützungs­angebote, was zu einer hohen Drop-out-Rate führe. Beson­deres Augen­merk müsse auch der Situa­tion der Frauen ge­schenkt werden, die oft mit einer drei­fachen Hürde kon­fron­tiert seien, als Frauen, als Migrantin­nen, und als Mit­glieder einer aus­gegrenz­ten Minder­heit. Das Empowerment der Frauen sei ein wich­tiger Faktor.

Die Autorin Katharina Graf-Janoska wies auf die Wichtig­keit von Maß­nahmen gegen den Antiziganismus hin. Dieser sei leider immer noch eine Realität und äußere sich in stereo­typen Dar­stellungen der Volks­gruppe und ihrer. Auch sie sah Bildung als einen wesent­li­chen Faktor an. Die Frage be­treffe dabei nicht nur die Roma selbst, die ihre eigene Geschichte oft nicht ken­nen würden. Auch die Mehrheits­bevöl­kerung müsse die Ge­schichte der Volks­gruppe kennen­lernen. Diese müsse richtig erzählt werden, dabei sei es wichtig, in den Schulen an­zu­setzen und an­ge­messene Unterrichtsmaterialien zu er­arbeiten.

Andreas Sarközi vom Kulturverein österreichischer Roma meinte, ein Erfolg der bisheri­gen Roma-Stra­tegie in Österreich sei die Ein­richtung der Roma-Plattform ge­wesen, da diese es ge­schafft habe, autochthone wie allochthone Roma ein­zu­binden. Der­zeit laufe auch ein Forschungs­projekt an der Univer­si­tät Wien zur Be­wertung der Roma-Strategie. Zur Frage eines Denkmals für die er­mordeten Öster­rei­cherIn­nen aus der Volks­gruppe sagte Sarközi, dass er noch Diskussions­bedarf sehe, wie und wo man dieses konkret um­setzen wolle. Zudem sei die Finan­zierung ein Thema. Könne man diese Fragen lösen, stehe einer Um­setzung aber nichts im Wege, meinte er.

In seiner Doppelfunktion als Europaabgeordneter und als Präsident der Föderalis­tischen Union Europäi­scher Volksg­ruppen ging der rumänische Politiker Lóránt Vincze auf die Frage der politi­schen Teil­habe der Roma in Europa ein. Ein wesent­liches Hindernis sei, dass die Volks­gruppe sehr frag­mentiert sei und dass es vor allem in Osteuropa noch massive Vor­urteile der Mehr­heits­gesell­schaft gebe. Hier sei die sozio­ökonomi­sche Lage oft noch sehr schwierig. Armut, die über Genera­tionen vererbt werde, sei ein grund­legendes Problem, das an­ge­gangen werden müsse. Wichtig sei es, dass Ver­tre­terInnen der Volks­gruppe eine Stimme erhalten und für ihre eige­nen Interes­sen spre­chen können, meinte Vincze.

Sobotka: Österreichisches Parlament ist bereit, sich in den Dia­log ein­zu­brin­gen

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka sagte, dass er mit der heutigen Veranstal­tung auf den Auftakt einer inten­siven Aus­einander­setzung mit der euro­päischen Ro­ma-Stra­tegie hoffe. Für das österreichi­sche Parlament sehe er dabei zwei Schwer­punkte, zu denen es einen Beitrag leisten könne. Das sei zum einen die Be­kämpfung des Antiziganismus, der in einem falschen Geschichts­bild und in tradier­ten Vorurteilen wurzle. Hier sei Bildung ein ent­schei­dender Faktor. Mit der Demokratie­werk­statt ver­füge das Parlament über ein Instru­ment, das einen wich­tigen Beitrag dazu leisten könne. Dabei brauche man auch die Unter­stützung von Ver­tre­terInnen der Volks­gruppe. Was die Errich­tung eines Denkmals für die er­mordeten österreichi­schen Sinti und Roma be­treffen, so sei er zu­versichtlich, dass sich dieses um­setzen lassen werde. Das vor kurzem vor­gelegte Positions­papier dazu sein ein wich­tiger Schritt in diese Richtung.

Weiteres Thema sei die politische Repräsentation, die über nationale Grenzen hinaus­gehe. Leider erkenne er bei seinen Kol­legInnen auf EU-Ebene noch wenig Bereit­schaft, sich des Themas der politischen Par­tizipa­tion der Roma an­zu­nehmen, meinte der National­rats­präsident. Hier könnte eine inter­nationale Organisation der Volks­gruppe eine wich­tige Rolle spielen, auch wenn er ver­stehe, dass diese schwierig um­zu­setzen sei. Zu hoffen bleibe, dass man 2030 fest­stellen werden könne, dass die Roma-Stra­tegie tat­sächli­che Ver­ände­rungen be­wirkt habe.

(Text: Pressedienst der Parlamentsdirektion)

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