»Es heißt, sie würden sich nur bereichern wollen«

April 6th, 2022  |  Published in Interview, Medien & Presse, Rassismus & Menschenrechte  |  1 Comment

Ukrainische Roma am Mannheimer Bahnhof (Foto: Bahnhofshelfer Mannheim/Facebook)Aus der Ukraine flüchtenden Roma und Sinti wird vieler­orts mit anti­ziga­nis­ti­schen Res­sen­timents be­ge­gnet. Auch in Deutsch­land. Die Tages­zeitung junge Welt hat mit un­se­rer Kol­le­gin (und dROMa-Autorin) vom Lan­des­ver­band Baden-Württem­berg Chana Dischereit ge­sprochen.

Chana Dischereit ist Wissenschaftliche Re­fe­ren­tin für Poli­tik und Re­fe­ren­tin für Pres­se- und Öf­fent­lich­keits­arbeit beim Ver­band Deut­scher Sinti und Roma, Landes­ver­band Ba­den-Württem­berg. Inter­view: jW/Fa­bi­an Lin­der.

Neben anderen sind auch viele Menschen mit Roma­ni-Hin­ter­grund auf der Flucht aus der Ukraine. Bei deren An­kunft in Deutschland er­lebten diese Un­gleich­behand­lung, kriti­sieren Sie und ver­weisen auf einen Fall aus Mannheim (wir berichteten). Was ist dort passiert?
Am 23. März sind flüchtende Menschen mit Roma­­ni-Hin­ter­grund am Mann­heimer Bahnhof an­ge­kommen. Ehren­amtli­che Helfer empfingen und be­gleite­ten die in der Nacht An­gereisten zu Räum­lich­keiten der Deutschen Bahn, die für Ge­flüchtete bereit­stehen. Beschäf­tigte der DB-Si­cher­heit äußer­ten dort, »solche Men­schen« kämen hier nicht rein. Ver­wiesen wurde auf Dieb­stähle und Ver­schmutzun­gen. Durch diese »Klientel« sei schon mehr­fach die »Hütte« leer­geräumt worden. So gaben Zeugen die Aus­sagen der Sicher­heits­leute wieder. Dann kam die Bundes­polizei dazu. Es waren immer mehr Sicher­heits­leute an­wesend, darunter auch eine Beamtin, die einen Dober­mann-Hund privat mit­führte. Das Ganze ent­sprach einer für die Schutz­suchen­den ver­stören­den Droh­kulisse. Beim Ge­spräch mit der Bahn einen Tag später wur­den diese Fehler ein­ge­standen.

Das alles war äußerst traumatisierend, auch für die Helfer. Infolge dieser chaoti­schen Situa­tion kam es nicht einmal zur Erst­hilfe mit Lebens­mitteln. Ande­re ukrainische Geflüch­tete wiederum hatten zeit­gleich keine Proble­me dabei, in die Unter­kunft zu kommen.

Wie erklären Sie sich dieses Vorgehen?
Wir sehen vor allem in Stresssituationen an Bahnhöfen, Län­der­grenzen oder in den Not­unter­künf­ten, dass Men­schen auf anti­ziga­nisti­sche Stereo­type zurück­greifen. Den Flüch­tenden wird bei­spiels­weise kein Essen und Trinken an­ge­boten, statt dessen wirft man ihnen vor, sie würden sich in der Situation nur be­rei­chern wollen. Auch der Vorwurf des Klauens ent­springt einem ganz alten Res­sen­timent.

Was wissen Sie über Übergriffe auf fliehende Sinti und Roma in der Ukraine oder den Nach­bar­ländern?
Aus der Ukraine, Moldau, der Slowakei und weiteren Län­dern gibt es Berichte von Über­griffen. Die Men­schen, die am Bahnhof in Mann­heim ab­gewiesen wurden, haben uns berich­tet, dass sie in der Ukraine beim Versuch, die Grenze zu über­treten, von anderen ukrai­nischen Ge­flüch­teten nach hinten ge­drängt wurden. In Polen gibt es Berichte von Men­schen, die ver­schwun­den sind. Es gibt dort Ver­mutun­gen, sie würden Opfer von Men­schen­handel.

Haben Sie Kontakt zu Partnerorganisationen dort?
Das European Roma Rights Centre beobachtet die Situation vor Ort und in den Grenz­regionen. In Flucht­situatio­nen und im Krieg sind be­nach­teilig­te Gruppen immer dop­pelt be­troffen. Das wird sich weiter zu­spitzen, wenn es zu Eng­pässen in der Lebens­mittel­ver­sorgung kommt.

Was erwarten Sie angesichts der Berichte über Über­griffe und Schi­kanen von der Bun­des­regie­rung und der EU?
Europaweit ist es jetzt wichtig, mit den Ländern in Kontakt zu blei­ben. Nachdem es in der Slowakei dis­krimi­nie­rende Vor­fälle gab, wurden Be­mühungen unter­nommen, solchem Ver­halten an den Grenz­über­gängen ent­gegen­zu­wirken.

In Russland und der Ukraine ist Antiziganismus nicht neu. Wie hat sich die Si­tua­tion für Be­trof­fene ver­ändert?
Sowohl in der Ukraine als auch in Russland gibt es eine starke rechte Szene. In der Ver­gangen­heit kam es in der Ukraine zu gewalt­tätigen Über­griffen und Ver­treibungen. Es gibt aber auch andere Ge­genden in dem Land, wo dies nicht der Fall ist. Darüber hinaus kämpfen auch Tau­sende Sinti und Roma in der dor­tigen Armee und den territo­rialen Selbst­vertei­digungs­ein­heiten. Es gibt Roma-NGOs, die vor Ort aktiv sind und humani­täre Hilfe leisten für alle Men­schen – nicht nur Roma.

Es leben etwa 400.000 Roma in der Ukraine. Zehn bis zwanzig Pro­zent davon haben keine Ausweis­papiere, son­dern oft nur alte sowjetische oder russische Pässe. Dem­ent­spre­chend gibt es Probleme bei der Ausreise und Einreise in die Nachbar­länder. Es ist noch unklar, wie Deutsch­land und ande­re Staaten mit »papierlosen« Men­schen um­gehen werden. Fest steht: Anti­ziga­nisti­sche Stereotype, hier würden sich Men­schen etwas er­schlei­chen wol­len, werden befeuert. Es wird ihnen ab­ge­sprochen, Kriegs­flüchtlinge zu sein – man sieht sie häufig nur als so­genannte Wirtschafts­flüchtlinge.

(Text: www.jungewelt.de)

Responses

  1. dROMa-Blog | Weblog zu Roma-Themen | Vorwürfe gegen Polizei in Dresden says:

    April 30th, 2022 at 16:36 (#)

    [...] auch: ICE nach Berlin: Roma-Flüchtlinge „aussortiert“, 9.4.2022 »Es heißt, sie würden sich nur bereichern wollen«, 6.4.2022 Bewegungsfreiheit und Schutz für Roma, 31.3.2022 Roma-Kriegsflüchtlinge in Mannheim [...]