„Marie Blum – ich lege meinen Namen ab“
Dezember 9th, 2021 | Published in Geschichte & Gedenken, Kunst & Fotografie
„Marie Blum – ich lege meinen Namen ab, um ein Jahr lang den deinen für dich zu tragen. Am 8. März 2020 bringe ich meine erste Tochter zur Welt. Dein Name ist auf ihrer Geburtsurkunde in der Rubrik Namen der Mutter vermerkt.“
„Marie, kein Stein, ein Mensch trägt deinen Namen.“
[„Marie Blum“, performatives Denkmal, 2020/21]
Die österreichische Künstlerin Esther Strauß über ihre Arbeit „Marie Blum“:
Marie Blum ist eines jener Kinder, die im nationalsozialistischen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zur Welt gekommen sind. Laut einem Eintrag in das Hauptbuch wurde Marie Blum am 5. September 1943 in Sektor BIIe – jenem Lagerabschnitt, in dem Roma, Romnja, Sinti und Sintize interniert worden sind – geboren. Dort wird sie am dritten Tag ihres Lebens ermordet.
Da Zeitzeug*innen zur Ermordung von Neugeborenen weitgehend geschwiegen haben, ist die Quellenlage auch heute noch dürftig. Nur wenige Kinder haben im Versteck oder dank der Hilfe von Mithäftlingen überlebt. Viele brachte man direkt nach der Geburt um oder ließ sie verhungern. Die meisten der Neugeborenen lebten nur wenige Stunden oder Tage.
Um an diese Kinder zu erinnern, entwickle ich ein performatives Denkmal: Ich lege den Namen Esther Strauß ab, um ein Jahr lang den Namen Marie Blum zu tragen. Dafür beantragte ich die rechtskräftige Änderung meines Vor- und Nachnamens im Namensänderungsreferat der MA 63 in Wien. Die Namensänderung wird mir nach viereinhalb Monaten Wartezeit schließlich gewährt – zufällig ausgerechnet am 27. Jänner 2020, dem 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, der gleichzeitig der Internationale Holocaust-Gedenktag ist.
In den darauffolgenden Wochen und Monaten entstehen zahlreiche Performances, Fotografien, Texte und performative Objekte. Manche von ihnen entstehen auf Drängen des Staates, wie die Namensänderungsurkunden oder Marie Blums Pass. Maries Name nimmt aber auch sehr persönliche Plätze ein, wie zum Beispiel in der Rubrik Namen der Mutter in der Geburtsurkunde meines ersten Kindes – meiner Tochter Lilou, die am 8. März 2020 zur Welt gekommen ist.
Ein besonderer Stellenwert kommt im Rahmen dieser einjährigen Performance der historischen und künstlerischen Aufarbeitung der Geschichte meiner Familie zu, die auch eine nationalsozialistische ist. [...]
Eine ganz besondere Bedeutung kommt dabei der Sicht- und Hörbarmachung der Lücken zu, die ein so früh gewaltsam entrissenes Leben wie das von Marie Blum aufwerfen muss. Marie Blum konnte uns nur ihren Namen hinterlassen.
Mehr zum performativen Denkmal hier als PDF zum Download.