Gerd Müller(†): Der Weltmeister und die Sinti

August 16th, 2021  |  Published in Ehrungen & Nachrufe, Sport

Weltmeister Gerd Müller nach dem Finalsieg gegen die Niederlande, 7.7.1974 (CC, Foto: Nationaal Archief Fotocollectie Anefo via Wikimedia)Die deutsche Fußball-Legende Gerd Müller ist tot. Der 1945 ge­bo­re­ne FC-Ba­yern-Star ver­starb am Sonn­tag m Al­ter von 75 Jah­ren in Mün­chen.

Mit dem deutschen Nationalteam wurde Müller 1972 Europameister, 1974 machte sein ent­schei­den­der Treffer im Fina­le Deutschland zum Welt­meis­ter. In 62 Län­der­spielen er­zielte er 68 Tore, bis heute ist er der dritt­erfolg­reichs­te WM-Tor­schütze aller Zeiten. Mit sei­nem Stamm­klub FC Bayern Mün­chen war Gerd Müller vier­facher Meister, vier­facher Cup­sieger, vier­facher Europa­cup-Sie­ger. Sieben­mal war er Tor­schützen­könig der Bun­des­liga. Seine Tor­bilanz von 365 Tref­fern in 427 Bun­desliga­spie­len ist un­über­troffen. An­fang der 1980er Jahre be­ende­te er schließ­lich seine Profi­lauf­bahn.

Was in den zahllosen Nachrufen in den Zeitungen heute nicht zu lesen sein wird: Mit den Sinti und Roma war die Sport­legende zeit­lebens eng ver­bunden – so eng, dass er vielen Sinti bei­nahe als einer von ihnen galt. „Wir trauern um unse­ren Bomber Gerd Müller. Eine Legende mit einem Herzen eines Sinto“, so etwa Marcella Reinhardt vom Regio­nal­verband Deutscher Sinti und Roma in Schwaben. Unsere Kolleg/in­nen vom Roma-Verein Roma­nity“ in Mün­chen sind den von Gerd Müller selbst gern ge­schürten Ge­rüchten über seine Herkunft vor einigen Monaten einmal nach­ge­gan­gen:

Ist er’s? Ist er’s nicht? – Der „Bomber der Nation“ ein Sinto?

Eigentlich sollte es nur die Biografie eines sei­ner Fußball­idole werden. Sein Buch über Gerd Müller ent­wickelte sich aber zu einem span­nen­den Krimi über Fußball, Geld, Politik und die Geschichte des Re­kord­meis­ters Bayern München. Hans Woller, Historiker, wid­met in seinem pe­nibel und für Ball­spiel-Ver­hält­nisse sehr wissen­schaftlich recher­chier­ten Werk einige Seiten der Herkunft des wohl besten Tor­schützen der deutschen Fuß­ball­geschichte.

Gerd Müller erblickte in Nördlingen kurz nach Kriegsende das Licht der Welt und stammt aus einer ein­fachen Arbeiter­familie. Er wächst in ärm­lichs­ten Ver­hält­nissen auf und ist kein großer Fan der Schule, statt­dessen kickt er lieber mit Freunden auf den heimischen Bolz­plätzen. Darunter Freunde, die der Minder­heit der Sinti und Roma an­gehören und nach dem Krieg in seiner Heimat­stadt an­gesiedelt wurden. „Dazu zählte die weit ver­zweigte Familie Reinhardt, die ganz in der Nähe des Miets­hauses der Müllers ein An­wesen er­worben hatte. […] Es dauerte nicht lange, bis Müller im Hause der Reinhardts ein und aus ging. Er kannte keine Be­rüh­rungs­ängste, wurde wie ein Familien­mitglied be­handelt.“

Ein besonderes Verhältnis entwickelte sich zur Schwester seines Kicker-Freundes, Laura Reinhardt. Sie wurde so etwas wie die erste Jugend­liebe. „Die beiden gingen mit­einander ins Kino und ins Schwimm­bad und be­trach­teten sich als zu­sammen­gehörig. Es habe sich, so Laura Reinhardt, um eine «innige, aber nicht intime Freund­schaft» gehandelt, deren emotio­nale Tiefe auch Jahr­zehnte später zu spüren war […].“

Nicht wenige Stimmen interpretieren aufgrund dieser selbst­ver­ständli­chen Nähe zu den Nördlingern Sinti, dass Gerd Müller selbst ein An­gehöriger der Minder­heiten­gruppe sei. In seinem dunklen Teint und Bemer­kungen, die der „Bomber der Nation“ selbst ge­macht haben soll, sehen viele die Speku­lationen weiter befeuert. Einem Vertrauten soll er mal augen­zwinkernd ge­sagt haben „Man wisse nie, ob nicht doch etwas dran sei“.

Der Buchautor wiegt einige Indizien, die dafür und einige die da­gegen spre­chen ab und kommt zu dem Schluss, dass erstere nicht stich­haltig genug sind, um etwas zu bewei­sen, hundert­pro­zentig aus­zu­schließen sei es aber auch nicht.

Eines jedoch ist sicher: Gerd Müller fühlte sich zu den Menschen stark hin­ge­zogen, suchte den Kontakt zu ihnen und ergriff bei Aus­einan­der­setzun­gen in der Kleinstadt wohl auch Partei für sie. Aus­schlag­gebend war für den Weltmeister von 1974 das es Men­schen sind, Menschen aus der Nach­bar­schaft, ganz normal eben.

(Text: Romanity)

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