PEN solidarisiert sich mit Romanes

Februar 21st, 2021  |  Published in Einrichtungen, Literatur & Bücher, Romani

PEN-Zentrum DeutschlandDer deutsche PEN nimmt den Inter­na­tio­na­len Tag der Mutter­sprache am 21. Febru­ar zum An­lass, um auf die Sprache und Kultur der Sinti und Roma auf­merk­sam zu machen und für ein fried­li­ches Mit­einan­der ver­schie­de­ner Kul­tu­ren in un­se­rem Land zu wer­ben.

„Zur Kultur in Deutschland gehört, dass wir in diesem mitten in Europa ge­lege­nen Land reich­halti­ge Kultu­ren – im Plural – haben. Dazu zählen meh­rere vom Aus­sterben be­drohte Sprachen, die nur von klei­nen Minder­heiten ge­spro­chen werden, aber doch die Fülle des Mensch­seins re­präsen­tie­ren, wie das Sorbische, Friesisch oder eben auch Romanes“, so PEN-Prä­si­den­tin Regula Venske. „An­statt auf einem an­geb­lichen Grund­recht, ein Schnitzel be­nennen zu wollen, zu be­harren, sollten wir lieber an­deren menschlichen Bedürfnissen Raum geben: Neugier und Lust auf Aus­tausch mit unseren Mit­menschen, ge­mein­sames Trauern, gemein­sames Feiern, gemein­sames Leben. Ich bin sicher, es warten auf Roma­nes noch große literari­sche Schätze darauf, ge­hört und gelesen zu werden.“

Der UNESCO-Atlas der bedrohten Sprachen der Welt schätzt Ro­manes als be­droht ein. Von der größ­ten Minder­heit Europas leben in Deutschland – erst seit 1998 per Gesetz als natio­nale Minder­heit an­erkannt – 70 000 bis 150 000 Sinti und Roma. Eine genaue Erfassung ist histo­risch proble­matisch, da dies im Natio­nal­sozialis­mus durch die Rassen­hygie­ni­sche For­schungs­stelle vor­genom­men wurde und die Grund­lage für die Deporta­tion und den Völker­mord (Porajmos) an mehr als einer halben Million Sinti und Roma bildete.

Sinti [...] leben bereits seit über 600 Jahren im deutschen Sprach­raum. Die Mutter­sprache Romanes kommt aus dem Indo­germani­schen und ist [Anm. d. Red.: war bis vor Kurzem: heute gibt es auch Schul­unterricht und Kurse] eine rein münd­lich über­lieferte Sprache. Es gibt Ver­suche, sie für eine ein­heit­liche Schrift­sprache zu stan­dardisie­ren. In starken Fami­lien­ver­bänden wird Romanes als Muttersprache selbst­ver­ständ­lich weiter­gege­ben. Doch in vielen Familien wurde auf­grund der Verfolgung im National­sozialis­mus die Sprache nicht ge­sprochen. Zu den Hinter­gründen er­läutert PEN-Präsidiumsmitglied Simone Trieder: „Haupt­grund ist, dass Eva Justin als Mit­arbeiterin des rassen­hygieni­schen Instituts Romanes sprach und so das Ver­trauen der Roma er­warb, um die Erfassung für die ‚Zigeuner­per­sonal­akten‘ vor­zu­nehmen, nach denen deportiert wurde. Justin und ihr Vor­gesetzter Robert Ritter entgingen der Ent­nazi­fi­zierung und ar­beite­ten beide bis 1962 un­behelligt weiter als ‚Zigeuner­experten‘ im Gesund­heits­amt Frankfurt am Main. Es konnte pas­sieren, dass im Ent­schädi­gungs­ver­fahren Sinti und Roma wieder ihren Peini­gern gegen­über­standen, um erneut ‚be­gut­achtet‘ zu werden. So kam es dazu, dass in der Bundes­republik in den Fa­mili­en häu­fig Romanes nicht ge­pflegt wurde.“ In den 1980er Jahren grün­deten sich Vereine, die den Kindern ihre Muttersprache ver­mit­telten, z.B. der Rom e.V. Köln, der heute noch aktiv ist. Im vom Dokumenta­tions- und Kultur­zentrum Deutscher Sinti und Roma ge­­trage­­nen RomArchive, das vor zwei Jahren online ging, sind Kultur und Sprache der Minder­heit be­wahrt.

P.E.N.-Zentrum Deutschland

Das deutsche PEN-Zentrum ist mit seinem Geschäftssitz in Darmstadt eine von welt­weit über 150 Schrift­steller­ver­eini­gun­gen, die im PEN Inter­national zu­sam­men­geschlos­sen sind. PEN steht für Poets, Essayists, Novelists. Die ur­sprüng­lich 1921 in England ge­gründete Ver­einigung hat sich als Anwalt des freien Wortes etabliert und gilt als Stimme ver­folgter und unter­drück­ter Schrift­stel­lerin­nen und Schriftsteller. Der deut­sche PEN be­gleitet mit Initia­ti­ven und Ver­anstal­tun­gen das literari­sche Leben in der Bundes­republik. Er be­zieht Stel­lung, wenn er die Meinungs­freiheit, gleich wo, in Gefahr sieht. Er mischt sich ein, wenn im gesell­schaft­li­chen Bereich gegen den Geist seiner Charta ver­stoßen wird.

Literaturhinweise:

Rajko Đurić: Ohne Heim ohne Grab. Die Geschichte der Roma und Sinti, Berlin 1996.

Jovan Nikolić: Das Orchester der Frauen, die mich verlassen haben. Aus dem Serbischen übersetzt von Elvira Veselinović. Drava Verlag: Klagenfurt 2016.

Ursula Krechel: Geisterbahn. Roman, Salzburg 2018.
Die Ehrenpräsidentin des PEN beschreibt in ihrem Roman eine Sinto-Fa­mi­lie in der Zeit des Krieges und die immer noch be­klem­mende ak­tuelle Si­tu­ation.

Ihrig, Wilfried; Janetzki Ulrich (Hg.): Die Morgendämmerung. Moderner Poesie-Atlas der Roma und Sinti, Berlin 2018 (darin auch Gedichte von Rajko Đurić und Jovan Nikolić).

Janko Lauenberger, Juliane von Wedemeyer: Ede und Unku – Die wahre Geschichte. Gütersloh 2018.
Janko wurde als 10-Jähriger seinen Eltern weg­genom­men und in ein Spe­zial­kinder­heim gesteckt, er er­zählt von seinem Leben als Sinto in der DDR und heute. Die Cou­sine seiner Groß­mutter mit dem Roma-Na­men Unku war Vor­bild für das Mäd­chen im Buch „Ede und Unku“ von Grete Weiskopf. Sie wurde in Auschwitz er­mordet.

(Text: PEN-Zentrum Deutschland, 17.2.2021)

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