„Romanichel“: Skulpturenfund in Dahlem
September 30th, 2020 | Published in Geschichte & Gedenken, Kunst & Fotografie, Veranstaltungen & Ausstellungen
Skulpturenfund in Berlin-Dahlem: Die Marmorbüste des NS-Bildhauers Arno Breker zeigt einen jungen Sinto bzw. Rom, dem Beker in den 1920er Jahren in Paris begegnet war. Die unvollendete Arbeit stammt aus dem Jahr 1940 – dem Jahr, in dem die ersten Massendeportationen von Roma und Sinti ins besetzte Polen anliefen.
Zu sehen bis 15. 1. 2021 im Kunsthaus Dahlem
Im August 2020 wurden bei Bauarbeiten im Garten des Kunsthaus Dahlem zwei Marmorskulpturen gefunden. Ein Werk konnte durch die Mitarbeiterinnen des Kunsthaus Dahlem unmittelbar nach Auffindung als Arno Brekers verschollene Skulptur „Romanichel“ von 1940 identifiziert werden. Das Werk ist leicht beschädigt – der Schaden bestand vermutlich bereits zum Zeitpunkt der Vergrabung. Die Zuordnung des zweiten Werks sowie die Erforschung der Fundumstände sind in Bearbeitung.
Nach der Funderfassung wurden beide Objekte zur Präsentation in den Ausstellungsbereich des Kunsthaus Dahlem gebracht, wo sie ab sofort bis zum 15. Januar 2021 zu sehen sind (mit Unterbrechung durch einen Ausstellungsumbau vom 19. bis 30. Oktober 2020).
„Romanichel“ (1940)
Bei dieser Skulptur handelt es sich um einen überlebensgroßen Porträt-Kopf aus weißem Marmor, wobei lediglich die Gesichts- und vordere Halspartie aus dem Steinblock herausgearbeitet wurden. Anhand historischer Fotografien konnte das Objekt zweifelsfrei als die bekannte Plastik „Romanichel“ (1940) von Arno Breker identifiziert werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach entstand das Werk in Brekers Atelier am Käuzchensteig. Es gilt als eines der wichtigsten Beispiele von Brekers Porträttorsi.
Bei dem Dargestellten handelt es sich um einen jungen Sinto oder Rom, dessen Name nicht überliefert ist. Breker begegnete ihm in den 1920er Jahren in Paris und porträtierte ihn mehrfach, eine erste Fassung entstand Ende der 1920er Jahre. Über seine Begegnung mit dem jungen Mann, der sich im Freundeskreis um Jean Cocteau bewegte, schrieb Breker: »Sein Kopf faszinierte mich sofort, noch am gleichen Tag begannen die Sitzungen. Nicht weniger als sieben Büsten modellierte ich nach ihm. (…) Unter meinen Pariser Freunden fand sich ein Filmoperateur, der zwei dieser neuen Büsten in meinem Atelier sah. Begeistert vom seltsamen Ausdruck, der an Amenophis erinnerte, holte man das Modell, um Probeaufnahmen zu machen.«
Gegenüber der impressionistischen ersten Fassung des Porträts ist die spätere Fassung in klassizistischer Manier geglättet und entspricht damit dem Kontext von Brekers Werk der 1930er Jahre. Was Breker dazu bewog, das Thema um 1940 noch einmal aufzugreifen, ist unbekannt; vielleicht war es die Gelegenheit, den Kopf nun in einem monumentalen Format auszuführen. Heute sind mehrere Plastiken gleicher Gestaltungsart bekannt: Dazu gehören „Demetra Messala“ von 1933 und „Andacht“ von 1937. „Romanichel“ übertrifft jene jedoch an Expressivität.
Die Oberfläche des sorgfältig ausgearbeiteten Gesichts ist fein geschliffen, während Haarpartien, seitlich zurückgesetzte Flächen und der untere plinthenartig nach vorn auslaufende Bereich grob gespitzt sind. Am Objekt sind Aufnahmepunkte für eine Punktiermaschine erhalten. Es ist daher davon auszugehen, dass die Übertragung von 1:1-(Gips-)Modellen erfolgte. Entsprechende Messpunkte aus dem Übertragungsprozess sind ebenfalls zu erkennen. Das Objekt weist Fehlbereiche in der Nasen- und Mundpartie auf.
Bei der zweiten, nicht identifizierten Skulptur handelt es sich ebenfalls um einen überlebensgroßen Kopf aus weißem Marmor. In der Gestaltungsweise ähnelt die Plastik dem oben beschriebenen „Romanichel“. Die laufenden Forschungen zum Objekt unternehmen den Versuch, das Werk zu identifizieren und die genaueren Umstände des Fundes aufzuklären.
Arno Breker (1900–1991)
Der Bildhauer Arno Breker [Anm. d. dROMa-Red.: einer der führenden Künstler des NS-Regimes und ab 1941 Vizepräsident der Reichskammer für bildende Künste], für den das heutige Kunsthaus Dahlem von 1939 bis 1942 als Atelier gebaut wurde, arbeitete hier nur kurz. Bereits 1943 wurde das Gebäude durch Luftangriffe beschädigt, so dass eine weitere Nutzung nicht mehr möglich war. Nach dem Krieg bezogen sowjetische Besatzungstruppen für einige Wochen das Gebäude, ab Sommer 1945 diente es für ein Jahr als Büro der US-Militärverwaltung. Die noch auf dem Gelände befindlichen Werke Brekers wurden 1946 in die nahe gelegene Sammelstelle des Völkerkunde-Museums in Dahlem überführt. Es ist daher anzunehmen, dass die beiden wiedergefundenen Skulpturen vergraben wurden, als die amerikanischen Besatzungstruppen das Gelände aufräumten.
Das Kunsthaus Dahlem
Das Kunsthaus Dahlem wurde 2015 im ehemaligen Staatsatelier des Bildhauers Arno Breker eröffnet. Es liegt unmittelbar am Grunewald in direkter Nachbarschaft zum Brücke-Museum. Unter der künstlerischen Leitung von Dr. Dorothea Schöne widmet sich das Haus der Kunst der deutschen Nachkriegsmoderne in Ost und West mit einem ausdrücklichen Schwerpunkt auf der Bildhauerei. Zusätzlich zu den Ausstellungen finden regelmäßig Kuratorenführungen, Konzerte, Lesungen, Vorträge und Workshops statt. Angesichts des historisch brisanten Orts liegt ein weiterer Schwerpunkt der Programmgestaltung auf der bisweilen problematischen Beziehung von Kunst und Politik. Das Haus bemüht sich aktiv um eine Aufarbeitung der NS-Geschichte – sowohl durch die Erforschung der eigenen Bau- und Nutzungsgeschichte als auch durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Leben und Werk von Künstler*innen, die in der NS-Diktatur Verfemung und Verfolgung ausgesetzt waren.
Das Gebäude wurde zwischen 1939 und 1942 im Rahmen der Baumaßnahmen für die geplante Hauptstadt »Germania« errichtet und ist heute das einzige dauerhaft zugängliche Künstleratelier aus der NS-Zeit. 1949 bezog der Bildhauer Bernhard Heiliger den Ostflügel des Gebäudes, wo er bis zu seinem Tod 1995 lebte und arbeitete. In den 1970er Jahren wurden im ehemaligen Breker-Atelier Arbeitsstätten für Künstler*innen eingerichtet, die bis 2008 der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und der Berliner Kultursenat vergab.
(Text: Kunsthaus Dahlem)