Enzyklopädie dokumentiert Roma-Genozid

Juli 30th, 2020  |  Published in Geschichte & Gedenken, Wissenschaft

Die Forschungsleiterin Karola Fings 2019 in Bukarest (Foto. Romarchive)Deutschland: Enzyklopädie soll NS-Völ­ker­mord an den Sinti und Roma Euro­pas do­ku­men­tie­ren. Aus­wär­ti­ges Amt fördert groß­an­ge­leg­tes Pro­jekt an der For­schungs­stelle Antizi­ga­nis­mus mit rund 1,2 Mil­li­o­nen Euro

Das historische Wissen zum nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma Euro­pas soll in einer groß­angeleg­ten En­zyk­lo­pädie zu­sam­men­geführt und für die Forschung sowie die breite Öffent­lich­keit bereit­gestellt wer­den. An­gesiedelt ist das inter­natio­nale Projekt an der For­schungs­stelle Anti­ziganis­mus der Universität Heidelberg. Die Er­geb­nisse werden zu­nächst online prä­sen­tiert. Darauf auf­bauend er­stellen die beteilig­ten Wissen­schaft­lerin­nen und Wissen­schaftler aus dem In- und Aus­land ein mehr­bändi­ges Handbuch in gedruck­ter Fassung. Erst­mals soll dabei die europäi­sche Dimension des Genozids in den Blick ge­nom­men werden. Die fünf­jähri­gen Forschungs­arbei­ten un­ter Leitung der Historikerin Dr. Karola Fings, die jetzt ge­star­tet wurden, werden vom Aus­wärtigen Amt mit rund 1,2 Millio­nen Euro gefördert.

„Als Forschungsgegenstand war der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma lan­ge Zeit rand­ständig. Zwar sind in den ver­gan­genen zwan­zig Jahren wich­tige Spezial­studien erschie­nen, das Wissen zu diesem Thema ist aller­dings weiter­hin stark fragmentiert“, er­läu­tert Dr. Fings, aus­gewie­sene Expertin in diesem Forschungs­feld, die nach lang­jähriger stell­vert­re­ten­der Leitung des NS-Do­kumen­tations­zentrums der Stadt Köln an die Heidelberger For­schungs­stelle ge­wechselt ist. Ziel ist es, die bis­heri­gen Forschungs­ergebnis­se zu Ursachen, Struktu­ren und Verlauf zu­sam­men­zu­führen und zu vertiefen. „Wir wol­len dabei die Perspektive er­wei­tern und auch die europäi­schen Di­mensio­nen des Völker­mordes be­rücksich­tigen“, betont der wissen­schaft­li­che Geschäfts­führer der For­schungs­stelle, Dr. Frank Reuter.

Neben Dr. Fings und Dr. Reuter werden zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaft­ler aus dem In- und Ausland zu der Enzyklopädie bei­tragen. Sie wird alpha­betisch auf­gebaut sein und rund 750 Stich­wörter um­fassen. Für die Hand­buch­beiträge sollen über­blicks­artige Dar­stellungen zu einzel­nen Ländern und Orten er­arbeitet werden. Hinzu kom­men Beiträge zu Ghettos und Lagern, zur rassisti­schen Gesetzgebung und zu Verfolgungs­maß­nah­men wie Deportationen und Zwangssterilisation. The­ma­tisiert werden auch Ereig­nisse wie et­wa die Ermordung der Sinti und Roma im Ver­nichtungs­lager Auschwitz-Bir­kenau oder die Massaker an der Roma-Be­völke­rung in von der Wehrmacht besetzten Län­dern. Nicht zu­letzt sol­len Biographien von Per­sonen – sowohl von Opfern als auch von Tätern – Ein­gang in die Enzyk­lo­pädie finden. Zu weite­ren Themen zählen bei­spiels­weise das Leben im Versteck oder Ent­schädigungs­zahlun­gen nach dem Ende des National­sozialismus.

In dem geplanten Handbuch sieht Dr. Fings eine Ergän­zung zu dem 2012 in Berlin ein­geweih­ten Denkmal für die im National­sozialis­mus er­mordeten Sinti und Roma Europas: „Auch die Enzyklo­pädie soll dazu bei­tragen, diesen Völker­mord noch stärker in das Bewusst­sein der deutschen Öffent­lichkeit zu rücken und das damit ver­bun­dene Wissen für die histo­risch-po­litische Bildung zu­gänglich zu machen“. An dem Projekt wir­ken als Ko­opera­tions­partner die Bundes­zentrale für politi­sche Bildung, das Doku­menta­tions- und Kultur­zentrum Deut­scher Sinti und Roma, das Do­ku­men­ta­tions­zentrum des österreichi­schen Wider­stands, das Fritz Bauer Institut und die Stiftung Denkmal für die im Na­tional­sozialis­mus ermor­deten Juden Europas mit. Ein Beirat wird die Ent­stehung der Enzyklo­pädie wis­sen­schaft­lich be­gleiten.

Die Forschungsstelle Antiziganismus ist Teil des Histori­schen Seminars der Uni­versi­tät Heidel­berg und be­schäftigt sich mit grund­legen­den Studien zu Ur­sachen, Formen und Folgen des Anti­ziganis­mus in den euro­päischen Gesell­schaf­ten vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Mechanis­men der Vor­urteils­bildung und Praktiken der Dis­kriminierung wer­den historisch fundiert und theorie­geleitet auf unter­schied­li­chen Ebenen unter­sucht. Die wissen­schaft­lichen Ergebnis­se sollen dabei in Zu­sam­men­hang ge­bracht wer­den mit Rassismus-, Stereotypen-, Gewalt- und Inklusions­forschung. Wissen­schaftli­cher Leiter ist der Heidel­ber­ger Histo­ri­ker Prof. Dr. Edgar Wolfrum.

(Text: idw/Pressemitteilung, 29. Juli 2020)

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