„Wer hier nicht will­kommen ist“

Juli 29th, 2020  |  Published in Radio, Podcast & TV, Rassismus & Menschenrechte

Rassistischer TV-Beitrag über das Frankfurter Bahnhofsviertel (Screenshot: Hessenschau)Offener Brief an den Hessischen Rundfunk

Der Förderverein Roma und das Hausprojekt NiKa pro­tes­tie­ren ent­schie­den ge­gen den hessen­schau-Bei­trag „Bahn­hofs­viertel nach Lock­down“ vom 28. Ju­ni 2020 der Au­to­rin­nen Ana Radic und Katharina Schol.

Die Anmoderation zum hessenschau-Beitrag an­läss­lich der Petition der Restau­rant­be­sit­zerIn­nen stimmt die Zu­schau­erIn­nen auf „Junkies“ im „be­rühmt-be­rüch­tig­ten“ Frankfurter Bahnhofs­viertel ein, auf Zu­stände, die „Angst ma­chen“. Doch gleich in den ersten bei­den Ein­stellun­gen werden eine Grup­pe un­kenntlich ge­machter Personen und eine Frau im langen Rock ge­zeigt: Damit ist die Minder­heit der Roma bereits mar­kiert. Daran ge­schnitten der O-Ton eines Res­tau­rant­betrei­bers: „Wir haben Angst …„. Dann fol­gen vers­chiede­ne Kamera­einstellun­gen, un­deut­lich, ab­gebro­che­ne Schwenks, im­mer wieder un­kennt­lich gemachte Leute, eine Frau, die auf Taschen am Rande des Bürger­steigs sitzt und in ihrer Kleidung nicht den „Deutsch-Deut­schen“ zu­zu­ordnen ist.

Was als Personenschutz durch Unkenntlich­machung daher­kommt, dient als Kenn­zeichnung: Das sind die Men­schen, die „Probleme“ ma­chen. Das dif­fuse Szenario der Be­droh­lich­keit geht mit der Dif­fa­mierung ein­her, dass die „Probleme“ im Viertel, „Jun­kies“ und „Penner“ mit der Min­der­heit der Roma bebildert wer­den. Durch die Kamera­einstellungen auf die im­mer selbe Per­so­nen­gruppe aus un­ter­schied­li­chen Blick­winkeln wird das Gefühl einer bedroh­li­chen Anzahl sug­geriert.

Und so geht es munter weiter. Nach einer Bild-Text­fol­ge über Müll/Kla­gen über den Ge­stank/Po­lizei­auto, wird auf den Text „ … an­dere, die sich im Viertel breit ma­chen“ wieder die Ein­stellung der Frau mit Rock und Kopftuch (sie­he oben), auf ihrer Tasche sit­zend, ge­zeigt. Die Restau­rant­be­sit­zer sind „verzweifelt”; Roma­familien, die musizieren, wer­den in ver­steckter, Gefahr sig­nalisie­ren­der Handy­optik ins Bild gesetzt.

Die Text- und Bildsprache entspricht dem rassistischen Stereo­typ über Roma, das in dem Buch „Antiziganismus in der deut­schen Öffentl­ich­keit. Stra­tegien und Me­cha­nis­men medialer Kom­munika­tion“ von Markus End analy­siert wird. Bilder­buch­mäßig.

Restaurantbesitzer und ein Ordnungspolitiker kommen zu Wort, aber kein Sozial­verband im Viertel (z.B. Weser 5, Drogen­hilfe oder För­der­verein Roma e.V.), der die Situ­a­tion der prekär Le­benden im Bahnhofs­viertel kennt, wird befragt; es fehlt an jour­nalis­tisch-kri­tischer Ein­ordnung.

Und so schließt der „journalistische“ Beitrag: „Immerhin ist das Problem bei der Stadt an­ge­kommen“, im Bild wird dazu das „Problem“ ge­zeigt: Frauen in langen Röcken gehen über die Straße. Das Lehr­stück in An­maßung und Dif­famie endet: „Das Frank­furter Bahnhofs­viertel: Viel­falt und Anders­artig­keit (!) sind hier will­kommen – Stören­friede nicht.“ Und was se­hen wir? Die oben be­schrie­bene Handy­aufnahme mit mu­si­zie­ren­den Roma­musikerIn­nen.

Festzuhalten ist: journalistische Sorgfalt und Aus­gewogen­heit fin­den nicht statt; rassisti­sche Stimmungs­mache und Partei­nahme (für wen eigent­lich?) feiert fröh­liche Ur­ständ; Herab­setzung von Minder­heiten und Men­schen in prekären Lebens­situa­tio­nen ist bestim­mend; eine ver­rohte Sprache, so z.B. „Junkies“ an­statt Sucht­kranke oder Drogen­abhän­gige oder „Stören­friede”, be­dient dumpfen Boden. Die Repor­terin­nen sagen und zeigen deut­lich, wer hier nicht „will­kommen“ ist.

Blind und taub zeigt sich dieser Beitrag in seiner Selbst­gerechtig­keit und an­maßenden Kommen­taren gegen­über der Dis­kussion über syste­mi­schen Rassismus. Weit über dem Atlantik wird er scharf in den Blick ge­nommen, gegen­über einer deutschen und europäi­schen Minder­heit wird er un­ge­hemmt prak­tiziert.

(Text: Förderverein Roma e.V. & Hausprojekt NiKa)

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