Hildegard-Lagrenne-Preis verliehen

September 15th, 2018  |  Published in Ehrungen & Nachrufe

Lagrene (Foto: Stadt Mannheim9Ein Zeichen für Toleranz und Menschenrechte: Preis an Ilona Lagrene

Mit dem Hildegard-Lagrenne-Preis würdigt die Stadt Mannheim ge­mein­sam mit dem Landes­ver­band Sinti und Roma Ba­den-Württem­berg seit dem Jahr 2012 en­gagier­te Per­sön­lich­kei­ten, die sich vor­bild­haft für Tole­ranz, Men­schen­rechte und Bil­dungs­gerech­tig­keit in Mannheim und der Metro­pol­regi­on Rhein-Neckar ein­setzen. In die­sem Jahr wurde der Preis an Ilona Lagrene ver­lie­hen, die nicht ver­wandt mit der Namens­geberin des Prei­ses ist.

„Mit dieser Auszeichnung wollen wir nachhaltige An­erken­nungs- und Teil­habe­struk­tu­ren für die Minder­heit der Sinti und Roma in der Ge­sell­schaft schaf­fen, um Dis­krimi­nie­rungs­erfah­run­gen zu mi­ni­mie­ren und gelin­gen­de Bildungs­pro­zes­se zu ge­stal­ten. Der Hilde­gard-Lag­renne-Preis ist ein Zei­chen, um zur Be­kämpfung des Anti­ziga­nis­mus bei­zu­tragen“, be­tonte Bil­dungs­bür­ger­meis­terin Dr. Ulrike Freund­lieb in ihrer Wür­di­gung der Preis­trä­gerin, der sie Pokal und Ur­kunde ver­lieh. Lagrene en­gagiert sich seit über 40 Jah­ren gegen Dis­krimi­nie­rung und für Men­schen­rechte. Frauen­rechte und Anti­ziganis­mus sind Schwer­punk­te ihres Wirkens.

„Gerade in der heutigen Zeit ist es dringend erforder­lich, dass wir uns als Zivil­gesell­schaft ent­schieden gegen jede Form der Dis­krimi­nie­rung stellen. Vom All­tags­rassis­mus bis zu Fäl­len konkre­ter rassis­ti­scher Gewalt ist es oft nur ein kur­zer Weg“, be­kräf­tig­te Freundlieb ge­ra­de vor dem Hin­ter­grund der aktuel­len Er­eig­nisse in Chemnitz. „Rassis­mus darf in un­serer Stadt kei­nen Platz haben! Mann­heim de­finiert sich als Stadt der Vielfalt – welt­offen, tolerant, respekt­voll im Um­gang und integra­tiv. Des­halb bin ich sehr froh, dass wir mit dem Hilde­gard-Lagrenne-Preis ein un­über­seh­bares Zeichen setzen – umso mehr in einer Zeit, in der Hetzer und Populis­ten wieder Auf­trieb be­kommen und ver­suchen, die Gesell­schaft zu spal­ten“, appel­lierte die Bür­ger­meis­terin, an jeden Einzel­nen, die Stimme ge­gen Rassis­mus und Dis­kriminie­rung zu er­heben.

Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbands Deut­scher Sinti und Ro­ma Ba­den-Württem­berg, be­grüßte die Gäste in Romanes, der Spra­che der Sin­ti und Roma,und freu­te sich, dass mit Ilo­na Lagrene ein wür­dige Preis­trägerin im Sin­ne Hilde­gard Lagrennes ge­fun­den wurde.

„Was damals geschehen ist, darf sich in die­sem Land nie mehr wie­der­holen!“

Ilona Lagrene erinnerte in ihrer Dankesrede an die Anfän­ge der Bürger­rechts­bewe­gung in der Nach­kriegs­zeit, die in dieser Zeit al­les ande­re als selbst­ver­ständ­lich ge­wesen sein. Mit Blick auf den Völker­mord im National­sozialis­mus und ak­tuelle poli­tische Be­wegung mahn­te die Preis­träge­rin: „Es gab zwei Min­der­heiten, die vom Klein­kind bis zum Greis aus rassi­schen Grün­den ermordet wur­den. Das waren die Juden und die Sinti und Roma. Was da­mals ge­sche­hen ist, darf sich in diesem Land nie mehr wie­der­holen!“.

Die Verleihung des Hildegard-Lagrenne-Preis soll dazu bei­tragen, auf die be­son­dere Dis­krimi­nie­rungs­erfah­rung und Bil­dungs­situa­tion der Sinti und Roma hin­zu­weisen. Er ist mit einem Preis­geld von 5.000 Euro ver­bun­den und wür­digt neben dem Preis­träger auch das Engage­ment und Lebens­werk der Namens­geberin Hildegard Lagrenne. Als Über­lebende des Völker­mords an den Sinti und Roma zur Zeit des Natio­nal­sozialis­mus lebte sie seit1951 bis zu ihrem Tod 2007 ge­mein­sam mit ihrer Fa­milie in Mann­heim und for­mierte im Nach­kriegs­deutsch­land die erste Bür­ger­rechts­bewe­gung der deut­schen Sinti und Roma, die sie prägte.

„Die Preisträgerin Ilona Lagrene, geboren in Heidel­berg, lebt seit 1972 in Mann­heim. Ihre Kind­heit war ge­prägt von den Nach­wirkun­gen der Gräuel­taten des NS-Re­gimes: Eltern, Geschwis­ter, Groß­eltern ihrer Fami­lie und auch der ihres späte­ren Man­nes Reinhold Lagrene wurden von den Nazis de­portiert und teil­weise zwangs­sterili­siert, viele von ihnen im Kon­zentra­tions­lager Auschwitz um­ge­bracht. Alle Kinder haben mit ihren trau­mati­sier­ten Eltern ge­litten“, be­rich­tete Freundlieb aus der Vita der Preis­träge­rin. Rassis­mus habe sie in viel­fälti­ger Form auch im ganz per­sön­li­chen fami­liä­ren Um­feld erlebt.

Ein Auslöser für Lagrenes Engagement in der Menschenrechts­arbeit sei ge­wesen, dass der Sinto Anton Lehman in Heidelberg ge­tötet wurde, er­läuter­te Freund­lieb. Fort­an orga­ni­sierte Lagrene Ge­sprä­che, De­monstra­tio­nen und wei­tere Aktivi­täten für die Men­schen­rechts­arbeit. 1986 wur­den sie Grün­dungs­mit­glied des Ver­bands Deut­scher Sinti und Roma, Lan­des­verband Ba­den-Württem­berg und war von 1989 bis 1994 des­sen Vor­sitzen­de. Auf ihre Initi­a­tive ging die Err­ich­tung des Denk­mals in E 5 für die wäh­rend des NS-Regimes er­mor­deten Mann­heimer Sin­ti und Roma zu­rück sowie das Sam­meln von Zeit­zeugen­inter­views, die in einem Buch ver­öffent­licht wur­den. Ge­mein­sam mit Hilde­gard Lagrenne be­suchte sie ab Ende der 90er-Jahre Hun­derte von Schu­len in Ba­den-Württem­berg und schaff­te so erst­mals eine authen­tische Begeg­nung zwi­schen Minder­heit und Mehrheit.

„Der Gemeinderat der Stadt Mannheim hat am 26. Juni 2018 be­schlos­sen, Ilona Lagrene den Hilde­gard-Lag­renne-Preis 2018, Preis für Toleranz und Bil­dungs­gerech­tig­keit der Stadt Mann­heim, zu ver­leihen. Durch ihr breites, öf­fent­li­ches Wir­ken ist sie Vor­bild für Toleranz und Bil­dungs­gerechtig­keit in Mannheim und da­rüber hinaus“, be­schei­nigt ihr der Text der von Ober­bürger­meis­ter Dr. Peter Kurz unter­zeich­neten Urkunde.

Musikalisch wurde die Feier von Jerome Weiss (Piano) und Sunny Franz (Violine) um­rahmt.

(Text: Stadt Mannheim)

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