„An den Grenzen der Hoffnung“ (2016)
August 18th, 2017 | Published in Literatur & Bücher, Wissenschaft
Johanna Westermaier (2016): An den Grenzen der Hoffnung. Ethnographie eines Arbeitsmarktintegrationsprojektes für Roma/Romnija
Masterarbeit (MA), Karl-Franzens-Universität Graz (Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie), 95 S.
Einleitung (S. 1-3):
Die Masterarbeit beschäftigt sich mit einem Arbeitsmarktintegrationsprojekt für Roma und Romnija in der Steiermark. Das Projekt, das von einer NGO in Kooperation mit anderen NGOs und Roma-Selbstvertretervereinen über einen Zeitraum von drei Jahren durchgeführt wird, (…) baut auf drei zentralen Säulen auf: Arbeitsmarktintegration, Empowerment und Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit. Ziel ist es, über Beratung und Betreuung, Deutsch- und Qualifizierungskurse sowie durch Vermittlung, die Chancen der teilnehmenden Roma/Romnija auf dem ersten Arbeitsmarkt in Österreich deutlich zu erhöhen. Mithilfe von Empowerment-Workshops und der Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Roma-Selbstvertretervereinen soll Diskriminierung entgegengewirkt werden. Über Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit sollen einerseits existierende Vorurteile in der Mehrheitsbevölkerung abgebaut und andererseits ein Netzwerk an UnterstützerInnen, auch in Form von potentiellen Arbeitgebern, aufgebaut werden.
Über einen Zeitraum von sechs Monaten begleitete ich das Projekt in Form einer Feldforschung. (…). Ziel war es, einen kulturanthropologischen Blick auf die Rolle dieses Arbeitsmarktintegrationsprojektes vor dem Hintergrund kultureller Transformationsprozesse zu richten, die Innensicht der verschiedenen AkteurInnen zu erhalten und mithilfe ethnographischer Methoden zu erfassen und auszuwerten. Dabei galt es, die institutionellen, staatlichen, ideologischen und kulturellen Strukturen, in welche das Projekt unweigerlich eingebunden ist, im Hinblick auf deren einschränkende und ermöglichende Funktionen zu analysieren. Um diese Strukturen, die den Möglichkeiten des Projektes Grenzen setzen, ersichtlich zu machen, stelle ich die Perspektive der MitarbeiterInnen der der TeilnehmerInnen gegenüber.
Darüber hinaus ist es auch das Ziel der Masterarbeit den Einfluss der Projektförmigkeit, ein Kennzeichen neoliberaler Arbeitsweisen, sowohl auf handelnde AkteurInnen als auch auf das Ergebnis bzw. den Erfolg des Projektes zu untersuchen.
Aus dem Resümee (S. 88-91):
Im Rahmen meiner Feldforschung erhielt ich einen guten Einblick in das Arbeitsmarktintegrationsprojekt, dessen Logik und Struktur. Insbesondere das Führen qualitativer Interviews und vieler informeller Gespräche während des Projektalltages ermöglichten es mir, auch die Innensicht der verschiedenen handelnden AkteurInnen nachzuvollziehen. (…)
Insbesondere die Ambivalenz zwischen positiven und negativen Gefühlen ist eine Eigenschaft des Feldes, die sich durch alle Bereiche zog und zieht. Hoffnung und Resignation, Freude und Frustration, Wünsche und unerfüllte Erwartungen lagen oftmals nah beieinander. Auch das Gefühl der Scham spielte im Projektalltag eine Rolle. So gibt es Roma/Romnija, die mit dem Projekt nur schwer erreicht werden können, da sie sich schämen, ‚nochmals‘ zu lernen. Einige der Roma/Romnija, die am Projekt teilnehmen, wiederum werden von diesen ausgelacht, weil sie ‚nochmal zu Schule‘ gehen. Und manche (…) schämen sich, in den Kursen zuzugeben, dass sie nicht schreiben oder lesen können. (…)
Hervorzuheben ist auch die Tatsache, dass alle der ProjektteilnehmerInnen den großen Wunsch teilen, eine feste Anstellung zu finden und damit ihre teils prekären Lebenslagen zu verbessern. Obwohl alle TeilnehmerInnen (…) Mehrfachdiskriminierung in ihren Herkunftsländern erlebt haben und ihre Situation teilweise aussichtslos erscheint, haben sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, etwas verändern zu können. Diese Hoffnung trotz der übermächtigen Benachteiligungen hat mich während meiner Forschung sehr berührt.
An dieser Hoffnung anzuknüpfen war und ist die Aufgabe des Projektes (…). Auch auf Seiten der MitarbeiterInnen war die oben erwähnte Ambivalenz zwischen positiven und negativen Gefühlen zu spüren, wenn auch nicht so stark wie auf Seiten der TeilnehmerInnen. Eine besondere Rolle unter den ProjektmitarbeiterInnen nimmt C. ein. Da sie selbst Romni ist und viele der ProjektteilnehmerInnen persönlich kennt oder sogar mit ihnen verwandt ist, hat sie nochmals einen anderen Blickwinkel auf das Projekt. Sie ist nicht nur ein ‚Role Model‘ (…), sondern auch eine Art Vermittlerin. Da sie selbst nach Österreich migrierte und Deutsch lernen musste, ist sie besonders enttäuscht, wenn wenige Roma/Romnija das Angebot der kostenlosen Deutschkurse nutzen. Im Gegensatz dazu zeigten sich andere MitarbeiterInnen und auch der Projektleiter mit dem Fortschritt des Projektes zufriedener. Dies ist vor allem auf die unterschiedlichen persönlichen Erwartungen und das Vorwissen der MitarbeiterInnen und des Leiters zurückzuführen. (…)
Im Rahmen dieser Masterarbeit wurden die Möglichkeiten, aber auch Grenzen des beforschten Arbeitsmarktintegrationsprojektes aufgezeigt. Zur Analyse dieser Möglichkeiten und Grenzen wurden insbesondere die Aspekte, die sich nach dem Codieren als wichtige Themen des Feldes herauskristallisiert hatten (…), herangezogen. Dass das Projekt manche Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen nicht erfüllen kann, liegt einerseits an dessen eigener Struktur, der Projektförmigkeit, hauptsächlich aber an bestimmten Logiken und Strukturen, in die es eingebunden ist. Letztendlich führen diese staatlichen, institutionellen und ideologischen Strukturen, denen auch das Projekt nicht entkommen kann, zu einer Institutionalisierung der Prekarität. So etwa auch das Sozialhilfesystem der Slowakei, das für viele Roma/Romnija den Einstieg in ein legales und festes Arbeitsverhältnis in Österreich nahezu unmöglich macht. (…)