„Es ist immer der gleiche Mist“

Juli 11th, 2017  |  Published in Geschichte & Gedenken, Kunst & Fotografie, Rassismus & Menschenrechte, Veranstaltungen & Ausstellungen

Ausstellung am Baustellenzaun: Marika Schmiedt in Wien, Juli 2017 (Foto: Samuel Mago, via volksgruppen.orf.at)Die Ausstellung „Sprache kommt vor der Tat“ wandert von einer Galerie­werk­statt zu einem Bauzaun auf der Mariahilfer Straße.

Wiener Zeitung, 4.7.2017. Von Valentine Auer

Wien. „Roma Rauss“ zum Beispiel. Mit Doppel-S und auf einem Wahl­plakat über das Gesicht von Alexander Van der Bellen ge­schmiert. Oder ein Auf­kleber mit der öster­rei­chi­schen Flagge und der Auf­schrift „Zigeuner brin­gen Krimi­na­lität & Krank­heiten nach Österreich“. Es sind Bei­spiele von Rassismus, von Antiziganismus, die seit etwa einem Jahr zu­neh­mend im öf­fent­li­chen Raum von Wien sicht­bar sind. Es sind auch Bei­spiele, die zeigen wie Rassismus und Sprache zu­sam­men­hängen und wie Konstruk­tio­nen von Kultur, von Un­gleich­hei­ten bis heute fort­geschrie­ben wer­den. An einem dieser Schau­plätze rassis­ti­scher Schmierereien hängt seit Sams­tag die Ausstellung „Sprache kommt vor der Tat“ der Wiener Künst­lerin Marika Schmiedt, um auf eben­diese Kon­tinui­tä­ten auf­merk­sam zu machen.

Die Original-Ausstellung war relativ kurz in der Galerie­werk­statt NUU zu sehen. Von 19. Mai bis 1. Juni wurden die Recher­chen von Mari­ka Schmiedt der Öf­fent­lich­keit zugäng­lich ge­macht. Seit ver­gan­ge­nen Samstag sollen die Er­kennt­nis­se eine brei­tere Öffent­lich­keit er­rei­chen – an einem Bau­stellen­zaun an der Maria­hil­fer Straße 67.

Erkenntnisse, die darauf aufmerksam machen, wie ähn­lich sich rassis­ti­sche Diskurse vom Kaiser­reich bis heute sind. Als Romni wollte sich Schmiedt mit den eige­nen Wurzeln aus­einan­der­setzen, er­klärt sie gegen­über der „Wiener Zeitung“: „Als Betrof­fene habe ich mich inten­siv mit meiner eigenen Familien­geschichte aus­einander­ge­setzt und bin in meinen Recher­chen sehr weit zurück­ge­gangen. Wenn man sich – egal, in welcher Zeit – die Zeit­doku­mente durch­liest, merkt man, dass es immer die glei­chen Mecha­nis­men sind.”

Der Menschenfresser-Prozess von Kaschau

Ähnliche Mechanismen und wiederauftretende Kon­tinui­tä­ten, macht Schmiedt an histori­schen und gegen­wärtigen Bei­spielen be­greif­bar. So auch am so­ge­nann­ten „Men­schen­fres­ser-Pro­zess von Kaschau“, der von 1927 bis 1929 ge­dauert hat und in der Aus­stellung aus­führlich doku­men­tiert wird: „Viele Roma aus Košice, dem da­ma­li­gen Kaschau, wur­den ver­haftet und ge­quält, weil ein Gerücht im Um­lauf war, dass sie Men­schen ge­fressen haben. Geständ­nisse wurden unter Druck ab­gelegt“, so Schmiedt. Die Medien nah­men an diesem rassisti­schen Diskurs teil, und ver­such­ten sich „die Psyche des Zigeuners“ – wie es in einem der dama­li­gen Be­richte hieß – zu er­klären: Ein Volk wurde be­schrie­ben, das auf der kind­li­chen Stufe stehen geblie­ben sei und dem gleich­zeitig die „Freude und Lust am Grau­sa­men“ in der Natur liege.

Nach wie vor wirken ähnliche Zuschreibungen, ist sich Andrea Härle, Ge­schäfts­füh­rerin des Roma-Vereins „Romano Centro“, sicher. Die genann­ten Bei­spiele von Hass­bot­schaften auf den Wänden Wiens zeigen, dass Dis­krimi­nie­rungen auf­grund der Herkunft oder Haut­farbe auch heute noch Wir­kung haben. Oft wird der „Rasse“-Be­griff mit jenem der Kultur er­setzt, um Diffe­renz zu er­zeu­gen: „Geht es um Roma und Sinti, wird häufig immer noch exotisiert oder kul­tura­li­siert. Das heißt, alle mög­li­chen sozialen und vor allem öko­nomi­schen Probleme wer­den durch die Kultur er­klärt“, be­schreibt Härle ihre Be­obach­tungen.

Wie oft diese rassistischen Diskurse auf den Wänden Wiens zu fin­den sind, kann nicht be­zif­fert wer­den. Klar sei je­doch, dass seit etwa einem Jahr gehäuft rassisti­sche Schmie­re­rei­en zu be­obach­ten sind – auch jene, die sich gegen Roma und Sinti wen­den. Der Schrift­zug „Roma Rauss“ zum Bei­spiel fin­det sich seit dem Wahl­kampf zum Bundes­präsidenten immer wieder in Wien. Immer mit Dop­pel-S. Im­mer ein ähn­li­ches Schrift­bild. Regio­nal vor al­lem rund um die Mariahilfer Straße. Auch auf dem Bauzaun, der nun mit Schmiedts Aus­stellung bespielt wird, war davor noch „Roma Rauss“ zu lesen – eine An­leh­nung an die Nazi-Truppe.

Kollektives Gedächtnis im öffentlichen Raum

Die Ausstellung gerade an diesem Ort einer breiteren Öffent­lich­keit zu­gäng­lich zu machen, war daher eine bewusste Ent­scheidung – die Moti­va­tion klar: Auf­zeigen, wie rassisti­sche Mecha­nis­men funk­tio­nieren, statt rassis­tische Diskurs­produk­tion un­kom­mentiert stehen zu lassen. Nicht zu­letzt auch ein Umdeuten der Er­inne­rungs­kultur. Gera­de im öffent­li­chen Raum.

Auch hierzu hängt ein passendes Beispiel am Bauzaun auf der Maria­hil­fer Straße: „His­tori­sches Gedächtnis als Medium kol­lek­ti­ver Selbst­täuschung, so­zu­sagen als institu­tio­na­li­sierte falsche Erinnerung“, so liest sich die Kritik Marika Schmiedts auf einem der Plakate. Auf der rech­ten Seite ist das Porträt von Albert Geßmann zu sehen und seine all­gemein be­kannte Bio­graphie zu le­sen: Biblio­theks­beamter und Politiker. Frü­her poli­ti­scher Ver­bün­devter Luegers. Seele der Christ­lich­sozialen Partei. Links da­ne­ben ein von ihm publi­zierter Artikel: „All­gemein be­kannt dürfte es sein, daß Bettler, Gauner, Zigeuner usw. jene Schichte von Men­schen, wel­che sich unserer Gesell­schafts­ord­nung nicht fügen, als Asoziale für sich eine eige­ne Klasse bilden.”

Bettler, „Zigeuner“ und „Asoziale“: Begriffe, die von Geßmann schon im frü­hen 20. Jahr­hun­dert zu einem Diskurs ver­knüpft wur­den. In der Erin­nerung von­seiten der Stadt Wien ist von seinen proble­ma­ti­schen Texten jedoch nichts zu lesen: Nach wie vor gibt es die Albert-Geßmann-Straße in Floridsdorf, die an den ös­ter­rei­chivschen Politiker und Biblio­the­kar er­innern soll.

Auch diese Kontinuitäten sind es, die Schmiedt in ihrer Arbeit an­trei­ben: „Wessen wird da gedacht und wel­ches Wissen wird ver­mittelt? Mir geht es darum, diese Zu­sam­men­hänge zu ver­mitteln. Denn ich glaube, dass es ein heu­tiges Grund­übel ist, dass die Men­schen keine Zusam­men­hänge mehr er­ken­nen. Und im Grund ist diese Ideologie imvmer der gleiche Mist. Immer das glei­che Prinzip.”

Nun gilt abzuwarten, wie die Öffentlichkeit auf die Ausstellung re­agiert – und vor al­lem wie lange sie zu se­hen ist: Bis zu Redaktion­sschluss waren die Plakate zu einem großen Teil noch un­ver­sehrt. Zwei Plakate fehl­ten je­doch schon nach einem Tag. Es sind jene, die sich mit heuti­gen For­men von Rassismus aus­einan­der­setzen. Es sind auch jene, an denen die rassis­ti­schen Schmie­revreien wie „Roma Rauss“ do­ku­men­tiert wurden.

(Text: Wiener Zeitung, 4.7.2017 | Wir danken der Autorin Valentine Auer für die freund­li­che Ge­neh­mi­gung.)

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