Deutschland: Stand Mordserie an Roma bevor?
Mai 5th, 2017 | Published in Rassismus & Menschenrechte
Ende April wurden Abgeordnete des deutschen Bundestages in einer Geheimsitzung über Ermittlungen gegen eine mutmaßliche Neonazi-Terrorzelle unterrichtet, über deren Existenz der Öffentlichkeit bislang nichts bekannt war. Diese Gruppierung soll geplant haben, gezielt Anschläge gegen Roma zu begehen. „Neonazis versuchten offenbar 2012, eine europäische Gruppe nach dem Vorbild des NSU zu bilden. Stand eine neue Mordserie bevor?“, schreibt „Der Spiegel“, der die Ermittlungsunterlagen einsehen konnte, in seiner aktuellen Ausgabe. Die neun Neonazis hätten sich systematisch konspirativ verhalten, auch von Schießübungen in Tschechien ist die Rede.
Die Zelle war jahrelang von Verfassungsschützern aus sechs deutschen Ländern observiert worden, später auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Die gemeinsame Operation namens „Mazoleti“ trug genug alarmierende Indizien zusammen, um den Generalbundesanwalt einzuschalten. Von März 2013 an ermittelte dieser gegen neun Personen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Sieben Verdächtige waren namentlich bekannt, die Identität von zwei weiteren Männern konnte nicht ausgeforscht werden (es dürfte sich um zwei Neonazis aus Tschechien handeln). Die Ermittler versuchten u.a., über V-Männer zu Informationen aus dem inneren Kreis der Gruppe zu gelangen. „Mitten in den Ermittlungen versiegte diese Quelle jedoch”, berichtet der „Spiegel“. Anfang 2016 musste das Verfahren dann ohne Anklage eingestellt werden, die Beweislage war zu dünn. „Man werde die Verdächtigen und ihr Milieu weiter im Blick haben“, heißt es seitens des Verfassungsschutzes.
In Anlehnung an den Rechtsterrorismus des sog. Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der zwischen 1999 und 2007 zehn Morde und mehrere Bombenanschläge verübt hatte, soll sich die neue Gruppierung „Zweiter Frühling“ genannt haben – eine Anspielung auf das Video, in dem sich der NSU 2011 unter dem Titel „Frühling“ zu seiner rassistischen Mordserie bekannt hatte.
Laut Spiegel deutet all das darauf hin, dass sich schon ein Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU eine Nachfolgeorganisation zu formieren begann, die den rassistischen Terror des NSU fortsetzen wollte. Einer der Verdächtigen hatte sogar nachweislich Kontakt zu den späteren Mitgliedern des NSU: Sein Name scheint auf einer Telefonliste auf, die schon 1998 in der Bombenwerkstatt des Rechtsterroristen Uwe Mundlos gefunden wurde. „Konkrete Zusammenhänge gebe es allerdings nicht zum NSU, so sagten Quellen, die mit dem Vorgang vertraut sind“, berichtet hingegen die „Welt“ unter Berufung auf Ermittlerkreise. „Auch waren die Vorbereitungen der Gruppe nicht so weit fortgeschritten, als dass die Bundesanwaltschaft Anklage erhoben hätte. (…) Die Bedrohung durch die Gruppe, zu der vor allem ältere rechtsextreme Kader gehören sollen, schien nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden nicht akut zu sein.“
Anleihen könnte die Gruppe „Zweiter Frühling“ übrigens nicht allein beim NSU-Terror genommen haben. Schon 2008 und 2009 verübte nämlich eine neonazistische Terrorzelle in Ungarn, die einige Parallelen zum NSU aufweist, eine Mordserie gegen Roma: Sechs Personen wurden ermordet, darunter ein vierjähriges Kind.
Und auch die Täter des NSU hatten bereits Roma und Sinti als mögliche Opfer im Sinn. So tauchte in ihren Listen mit potenziellen Terrorzielen auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg und dessen Dokumentationszentrum auf. Umso bizarrer erscheint es, dass die Polizei bei den Ermittlungen zu den Nazi-Morden 2007 fälschlich ausgerechnet Roma bzw. Sinti als Tatverdächtige ins Visier nahm. Wie später bekannt wurde, strotzen die Polizeiakten nur so vor rassistischen Vermerken. Monatelang beschäftigten diese Falschverdächtigungen daraufhin auch die Öffentlichkeit: Unter Hinweis auf Polizeikreise spekulierten die Medien über ein umherziehendes „Phantom“ mit einer „eventuellen Zugehörigkeit zu einem Clan von Sinti und Roma“. Die heißeste Spur führe ins „Zigeunermilieu“, zitierte damals der „Stern“ einen Ermittler (wir berichteten).
(Roman Urbaner/dROMa)