Der Dieb und der „Abschaum“

Dezember 6th, 2016  |  Published in Rassismus & Menschenrechte, Recht & Gericht

Verhetzungsprozess: Ein 73-jähriger mehr­fach Vor­be­straf­ter hat per Mail ge­gen Roma ge­hetzt. Der Mann be­reut das nur aus Angst vor einer neu­er­li­chen Haft

Michael Möseneder/Der Standard: Wien – Ferdinand P. hat eine ziem­lich klare Mei­nung zur eth­ni­schen Min­der­heit der Roma. Die seien „der Ab­schaum der Mensch­heit“, „asia­ti­sche Parasiten“ und über­haupt alles Diebe. Blöd nur, dass der 73-Jäh­rige selbst elf Vor­strafen hat – wegen Eigen­tums­delik­ten. Vor Richter Gerald Wagner sitzt er aller­dings wegen Verhetzung, hat der Min­dest­pen­sio­nist doch seine Mei­nung per Mail an diver­se Empfän­ger ver­schickt. Es zeigt sich, dass bei der ers­ten Ver­hand­lung so­wohl Polizei als auch Staats­anwalt­schaft und Richter ziem­lich schleißig agiert ha­ben. Da­mals fragte nie­mand nach, an wie viele Per­so­nen die Nach­richt über­haupt ver­schickt wurde. Da im Akt nur von einer Adres­se die Rede ge­we­sen ist, wurde P. frei­gespro­chen, das Ober­landes­gericht hob das Urteil auf.

Emotionen nach abgebrannten Zelten

Wagner geht nun also gründlicher vor. „Warum haben Sie das ge­macht?“, will er wis­sen. Der An­ge­klag­te er­zählt, er habe in einem Artikel ge­lesen, dass Zelte von Roma bei Linz ab­ge­brannt sind. „Das hat Emo­tio­nen hervor­ge­bracht!“, sagt er. „Ich bin bei einem rumä­ni­schen Eisen­bahn­klub. Und dieses Volk hat ein­mal 700 Meter Schienen ge­stoh­len“, em­pört P. sich. „Jetzt sind Sie selbst mehrfach vorbestraft. Sind Sie Wiener?“, fragt der Rich­ter. „Ja“, hört er. „Wenn ich jetzt sage, alle Wiener sind Diebe – stim­men Sie mir dann zu?“ – „Nein.“ – „Aber die Roma schon?“ – „Nicht alle.“

Wie Wagner herausarbeitet, hat der Angeklagte seine kruden An­sich­ten an das Land Ober­öster­reich, den Bürger­meis­ter von Linz und zwei weite­re Stellen der Landes­haupt­stadt ver­schickt. Zusätz­lich be­ka­men 13 Tages­zeitungen den Erguss. Ge­dacht war er eigent­lich schon als Leserbrief. „Die Zeitun­gen schrei­ben ja eh nicht alles, was sie be­kom­men“, ver­sucht der An­ge­klag­te zu rela­ti­vie­ren. „Das wäre ja auch un­erfreu­lich“, merkt Wag­ner trocken an.

Damoklesschwert Gefängnis

„Tut Ihnen das leid?“, interessiert den Richter noch. „Eigent­lich schon.“ – „Was heißt ‚eigentlich?“ – „Weil es jetzt wie ein Da­mokles­schwert über mir hängt. Bei den Vor­strafen muss ich viel­leicht wieder ins Gefäng­nis.“ – „Also aus Furcht?“ – „Und Reue. Es war mir eine Lehre, ich habe ich seit­her nicht mehr mit Mails betätigt.“

Für Staatsanwältin Tatjana Spitzer-Edl ist die Antwort ärger­lich. „Was mich per­sön­lich stört, ist, dass die Reue nur wegen der Straf­drohung da ist.“ Rich­ter Wagner sieht das ähn­lich und ver­urteilt P. nicht rechts­kräf­tig zu sieben Mona­ten beding­ter Haft. „Von Reue ist nichts zu spü­ren“, be­gründet er.

„Ich bin heute wahrscheinlich der glücklichste Mensch der Welt, weil ich nicht ins Ge­fäng­nis muss!“, be­dankt sich der ohne Ver­teidiger er­schie­ne­ne An­ge­klagte. Wag­ner ver­abschie­det ihn mit „Auf Wieder­sehen“. – „Nein, ,Guten Tag‘“, be­lehrt ihn der An­geklagte und ent­fernt sich la­chend. „Ich weiß jetzt nicht, ob das ein Grund zum La­chen ist“, ist der Rich­ter we­nig amüsiert.

(Text: Der Standard, 5.12.2016)

Wir danken Michael Möseneder für die freundliche Geneh­mi­gung!

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