E-Theses: Gegenöffentlichkeit der Roma (2015)
Oktober 21st, 2016 | Published in Literatur & Bücher, Medien & Presse, Rassismus & Menschenrechte, Wissenschaft, dROMa (Magazin)
Raffaela Gmeiner (2015): Essentialistische Gegenöffentlichkeit der Roma in Österreich. Minderheitenmedien als Strategie zur Ausbalancierung antiziganistischer Medienberichterstattungen seitens bürgerlicher Medien
Magisterarbeit, Universität Wien (Fakultät für Sozialwissenschaften), 144 S.
Abstract: (…) Vor allem Volksgruppenangehörige der Roma werden von der „bürgerlichen“ Öffentlichkeit oft ausgeschlossen und von den Massenmedien meist stereotypisiert repräsentiert. Um dem antiziganistischen Diskurs in den Medien entgegenzuwirken, muss es zur Etablierung einer Gegenöffentlichkeit der Roma kommen: Minderheitenmedien und Gegenberichterstattungen in Mainstreammedien können zur medialen Ausbalancierung beitragen. Die vorliegende Arbeit verknüpft aktuelle Öffentlichkeitstheorien mit dem Problem des medial verbreiteten Antiziganismus und fokussiert auf das Potential alternativer Medien. (…) Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive haben Medien wichtige soziale Funktionen und sollen zur interkulturellen medialen Integration beitragen. Im Falle der Roma wirken Medien jedoch eher desintegrativ, es kommt zur Konstruktion problematischer Fremdbilder, die aus medienethischer Perspektive höchst diskussionsbedürftig erscheinen. Die Arbeit geht der Frage nach, wie antiziganistische Medienberichterstattung ausbalanciert werden kann und welche gegenöffentlichen Strategien dabei Anwendung finden. Dabei wird das Verhältnis zwischen Minderheiten- und Massenmedien untersucht. Die empirische Studie geht induktiv vor und erforscht idiographisch am „Fall Maria“, wie Mehrheits- und Minderheitenmedien das Ereignis darstellten. Mittels qualitativer Inhaltsanalyse wurden Zeitungsberichte in einem Zeitraum von drei Monaten untersucht. Im Fall Maria kam es zur Veröffentlichung falscher Informationen und zur Konstruktion prekärer Diskursfragmente. (…) Die große Anzahl negativer Zeitungsberichte konnte von den Romamagazinen nicht ausbalanciert werden. Jedoch kam es innerhalb der Mainstreammedien zu gegenöffentlichen Meinungsäußerungen: V.a. nichtredaktionelle Beiträge, wie etwa Kommentare, Kolumnen und ein Leserbrief kritisierten die antiziganistischen Darstellungsweisen. (…) Die Stärkung einer essentialistischen Gegenöffentlichkeit der Roma in Österreich erweist sich in Anbetracht der Studie als dringlich.
Die Berichterstattungen der Mainstreamzeitungen zum Fall Maria waren von stereotypen Bildern und antiziganistischen Mutmaßungen geprägt. Der mediale Diskurs über den Fall Maria setzte sich aus mehreren problematischen Diskursfragmenten zusammen: Genetik, Rassifizierung, Kindesentführung, Kinderhandel, Sozialbetrug, Kleinkriminalität, Betteln, Armut, aber auch Selbstreflexion der Medien. Es kam zur Verbreitung falscher und schlecht recherchierter Information sowie zu prekären Darstellungsweisen der Volksgruppenangehörigen. Die wenigen Romazeitschriften hatten aufgrund ihrer geringen Anzahl und der langen Publikationsperioden kaum eine Chance, dem massenmedial verbreiteten Antiziganismus entgegenzuwirken. Nur zwei Romazeitschriften (Romano Centro und dROMa) setzten sich mit dem Fall Maria auseinander, wohingegen die Mehrheitszeitungen insgesamt 67 Berichterstattungen dazu veröffentlichten. (…) Im Rahmen der qualitativen Auswertung zeigte sich, dass Kritik und gegenöffentliche Meinungsäußerungen nicht nur vonseiten der Romazeitschriften, sondern auch vonseiten der Mehrheitszeitungen kamen. Vor allem nichtredaktionelle Beiträge, wie bspw. Kommentare, Kolumnen und Leserbriefe reflektierten das Ereignis aus entgegengesetzten Perspektiven.
Von einer Ausbalancierung im Sinne berichtigender Gegenberichterstattungen kann aber keineswegs die Rede sein: Da zu Beginn falsche Information in Massen kommuniziert wurde (z.B. Maria wurde entführt oder verkauft) und erst viel später und in geringerem Ausmaß über die Aufklärung des Falls berichtet wurde, kam es zu keiner medialen Ausbalancierung. Die meisten LeserInnen erfuhren demnach nicht, dass Maria nicht gestohlen oder verkauft, sondern aufgrund von Armut einer Romafamilie anvertraut wurde. Die Geschichte der kleinen, blonden Maria verstärkte die negative öffentliche Meinung über die Volksgruppe der Roma. In diesem Sinne erscheint eine Gegenöffentlichkeiten der Roma, die sich gegen eine hegemoniale Öffentlichkeit richtet, umso wichtiger. In Bezug auf die Massenmedien stellte sich heraus, dass der Großteil der Berichterstattungen schlecht recherchiert war und falsche Informationen beinhaltete. JournalistInnen verstießen gegen die Richtlinien des österreichischen Presserats und gegen das Mediengesetz: Die journalistische Sorgfaltspflicht und das Verbot gegen Pauschalverunglimpfungen und Diskriminierung wurden missachtet.
(…) Welche Problemlösungen bieten sich an? Im ersten Schritt sollte es zur Förderung und Gründung weiterer Romamedien sowie durch die Vereine zu verstärkter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kommen. Zugleich sollten Volksgruppenangehörige auch als RedakteurInnen in Mainstreammedien mitwirken – zumindest im repräsentativen Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Doch Bemühungen für mehr Gerechtigkeit sollten auch vonseiten der Mehrheitskultur erfolgen: Aufklärung und Wissen – im Gegensatz zur Verbreitung von Mythen und Stereotypen – könnten maßgeblich zu einem gesellschaftlichen Umdenken beitragen.
Zuletzt sei auch noch auf den österreichischen Presserat hinzuweisen: Dieser hat dafür zu sorgen, dass die journalistische Sorgfaltspflicht eingehalten wird und es nicht zur Pauschalverunglimpfung oder Diskriminierung ethnischer Minderheiten kommt. In Anbetracht der problematischen Berichterstattungen zum Fall Maria sollte dieser konsequenter handeln und die verantwortlichen JournalistInnen auf die antiziganistische Darstellungsweisen aufmerksam machen.
(R. Gmeiner, S. 121-124)
Schlagwörter: Minderheitenmedien / alternative Medien / Gegenöffentlichkeit / Roma / Antiziganismus / Ausbalancierung / Gegenthematisierung / Gegenberichterstattung
Hochschulschrift (Diplomarbeit); Betreuer: Herczeg, Petra
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