Massenabschiebung in Deutschland

Januar 4th, 2016  |  Published in Politik, Rassismus & Menschenrechte  |  1 Comment

Kurz vor Weihnachten wurden 125 Flücht­lin­ge ohne An­kün­di­gung aus Nie­der­sach­sen ab­ge­scho­ben – darun­ter zahl­rei­che Kin­der und lang­jäh­rig ge­dul­de­te Flücht­linge. Eine Stellung­nahme des Flüchtlings­rats Nieder­sach­sen:

125 Flüchtlinge wurden eine Woche vor Weihnach­ten ohne vor­he­rige An­kün­di­gung in Nieder­sachsen fest­genommen und in den Kosovo abge­schoben. Eine solche Massen­abschie­bung ist von der Landes­regie­rung mehr­fach an­ge­kün­digt wor­den. Für Über­ra­schung und Empö­rung sorgt aller­dings die Tat­sache, dass sich unter den Betrof­fe­nen viele lang­jährig geduldete Flücht­linge befan­den – also sol­che Flüchtlinge, denen der Innen­minister Pistorius mehr­fach und aus­drück­lich eine vor­sich­tige und mensch­liche Praxis ver­spro­chen hat.

Der hier verlinkte Bericht der Hannoverschen Zeitung spricht für sich: Betrof­fen wa­ren auch Kinder und Jugendliche, die bereits jahr­zehnte­lang in Niedersachsen leb­ten oder zur Schule gingen, und die den Kosovo nur aus den Berich­ten ihrer Eltern kennen. Der Flüchtlings­rat hat diese Massen­abschie­bung scharf kri­ti­siert: Eine Landesregierung, die vor einem Jahr noch öffent­lich er­klärt hat, mehr Mensch­lich­keit in der Aus­länder- und Flüchtlings­politik an den Tag zu legen, hat mit Flücht­lin­gen anders um­zu­gehen. Auch wenn eine Ankün­di­gung des Abschiebungs­termins in­zwi­schen gesetz­lich unter­sagt ist, hätte die Mög­lich­keit be­stan­den, in ent­spre­chen­den Fällen zumin­dest eine Einzelfall­prüfung vor­zu­nehmen, und den Flücht­lingen (wenn über­haupt) vor­her und ohne Termin­ansage anzu­kün­digen, dass eine Abschie­bung dem­nächst ein­ge­leitet wird, um ihnen so die Möglich­keit ein­zu­räumen, sich vor­zu­berei­ten oder ggfs. recht­liche Schritte zur Über­prüfung der Abschie­bun­gen ein­zu­leiten. Nach Auf­fas­sung des Flücht­lings­rats Nieder­sachsen ver­bietet es sich grund­sätzlich, Flüchtlings­kinder ab­zu­schie­ben, die hier bei uns auf­ge­wachsen sind und den Kosovo nur vom Hören­sagen kennen.

Viele der betroffenen Kinder und Jugendlichen sind in unserer Gesellschaft groß geworden. Sie sind deutsch sozialisiert und sprechen kein Albanisch. Es erscheint überaus frag­würdig, ihnen ein Aufent­halts­recht mit der Begrün­dung zu ver­wei­gern, sie hät­ten eini­ge Tage un­ent­schul­digt in der Schule gefehlt, wie dies kürz­lich das Ver­waltungs­gericht Göttingen ent­schie­den hat.

Ihre Hoffnungen und Wünsche werden diese Jugend­li­chen nach einer Abschiebung vergessen müssen. Was wird aus einem 13-jährigen Roma-Jungen, der heute in ein Roma-Ghetto abgeschoben wird, oft genug in Wellblechbaracken ohne Wasser und Strom? UNICEF-Studien zufolge haben diese Kinder kaum eine Chance, die Schule zu besuchen und einen Beruf zu erlernen. Stattdessen werden sie gezwungen sein, ihren Lebensunterhalt mit Metall- oder Papiersammeln zu verdienen. Hinzu kommt die alltägliche Diskriminierung und Ausgrenzung von Roma. Ist es ein Ausdruck von „Realitätssinn“, diese Kinder in ein Land abzuschieben, das sie nicht kennen und in dem sie offensichtlich untergehen werden?

Der EGMR postuliert, dass der Artikel 8 der EMRK diejenigen schütze, die in Deutschland verwurzelt sind und keine Bezüge zu ihrem angeblichen Herkunftsland haben. Das OVG Bremen leitet daraus schon für Jugendliche ab 14 Jahren Ansprüche ab – im Unterschied zum nds. OVG Lüneburg. Die Frage ist natürlich, ab welchem Alter Kinder diese Rechte in Anspruch nehmen können – als eigenständige Rechtspersonen. Aber natürlich handelt es sich hierbei um zentrale menschenrechtliche Fragestellungen. Die Antwort, die das Land Niedersachsen mit der gestrigen Massenabschiebung gegeben hat, ist erschütternd kaltschnäuzig.

(Pressemitteilung des Flüchtlingsrats Niedersachsen/Kai Weber, 17.12.2015)

Responses

  1. dROMa-Blog | Weblog zu Roma-Themen | Deutschland: Abschiebung in die Fremde says:

    Januar 17th, 2016 at 20:08 (#)

    [...] wurden die 13- und 15jährigen Schüler mit ihren Familien abgeschoben. Es waren zwei von insgesamt 125 Menschen, die allein an diesem Tag aus Niedersachsen zwangsweise in die Balkanländer deportiert wurden. [...]