Kirchstetten vereitelt Roma-Gedenkprojekt

August 9th, 2015  |  Published in Geschichte & Gedenken, Kunst & Fotografie, Politik

Gemeindeamt Kirchstetten (Foto: NÖN)Das dunkle Kapitel der Ortsgeschichte: Futschikato – Die ver­schwun­de­nen Roma und Sinti aus Kirch­stet­ten und der „Fall Weinheber“

Die österreichische Künstlerin Marika Schmiedt befasst sich – nicht zuletzt auf­grund ihrer eigenen Familien­ge­schichte – im­mer wieder mit der Ver­folgung der Roma. »Futschikato – Die ver­schwun­de­nen Roma und Sinti aus Kirch­stetten und der „Fall Wein­heber“« heißt ihr jüngs­tes Gedenk­projekt, das den Umgang mit der Ver­gan­gen­heit in der nieder­öster­rei­chi­schen Markt­gemeinde Kirchstetten unter die Lupe nimmt. Ange­kün­digt war die Prä­sen­ta­tion bereits für Septem­ber. Doch der Bürgermeister der klei­nen Ge­meinde legt sich nun quer: „Es wird leider nicht möglich sein, diese Kunst­installation so zu ver­wirk­li­chen“, teilte Paul Horsak (ÖVP) der Künstle­rin am 5. August mit; er werde die Geneh­mi­gung für die Instal­la­tion nicht er­tei­len. Seine Begrün­dung, die die Künst­le­rin auf ihrer Web­site ver­öffent­licht hat, liest sich wie ein Echo aus längst über­wun­den geglaub­ten Jahr­zehnten:

Es sind nun aber doch schon 70 Jahre seit diesen grauen­vollen Jahren ver­gangen und in Kirch­stetten besteht die hier lebende Bevöl­ke­rung zu mehr als 95% aus Folge­genera­tionen. Man soll zwar nie ver­gessen und schon gar nicht völlig ver­drängen, aber die heuti­gen Genera­tio­nen sind sehr wohl der Ansicht, dass die Ver­gangen­heit ruhen soll, da sie ja auch keiner­lei Schuld an diesen unwür­digen Gescheh­nis­sen haben. All­gemei­ner Tenor: Erin­nerung ja, aber es muss auch einmal Schluss sein mit Auf­arbei­tung und Auseinan­der­setzung.

Wenn es nach Bürgermeister Horsak geht, sollen die Deportation und Ermor­dung der 80 bis 100 Roma der Gemeinde, deren Schick­sal Marika Schmiedt recher­chiert hat, also nicht öffent­lich thema­ti­siert werden. Er will nicht wahr­haben, dass auch der ver­schwie­gene Völker­mord an den Roma zur Ver­gangen­heit seines Heimat­ortes gehört. Jeden­falls ver­wahrt sich der Bürger­meister gegen­über der Künstlerin, die Depor­tatio­nen als „dunkles Kapitel der Orts­geschichte“ zu titu­lieren. Dabei war Kirchstetten nicht nur ein zufäl­liger Schau­platz der national­sozia­lis­ti­schen Ver­folgungs­politik, son­dern hatte, wie viele andere Gemein­den auch, durch­aus selbst seinen Anteil am schreck­lichen Gesche­hen. Marika Schmiedt schreibt dazu:

In Kirchstetten begann die Erfas­sungs­aktion von Roma und Sinti schon früh, Zeugnis der Ver­strickung und Komplizen­schaft ist ein vor­lie­gen­der Akt. Roma und Sinti wur­den bereits 1935 als Familien re­gistriert, die er­stell­ten Abstam­mungs­nach­weise und per­sonen­bezo­ge­nen Daten­blätter dienten später auch als Grund­lage für die national­sozia­lis­ti­sche Ver­nich­tungs­po­li­tik. Im Juni 1939 erfolg­ten die ersten Trans­porte mit Roma und Sinti aus Kirch­stet­ten in die Kon­zentra­tions­lager Dachau, Buchenwald und Ravensbrück. Im Septem­ber 1941 wur­den mehrere Per­so­nen in das Lager Lackenbach über­stellt. Die zuletzt in Kirch­stetten wohn­haf­ten Roma und Sinti wur­den im August 1943 nach Auschwitz depor­tiert. Im Akt ersicht­lich ist auch die enge Zusam­men­arbeit zwi­schen der Lokal­behörde in Kirch­stetten, der Bezirks­haupt­mann­schaft St. Pölten, den Gemein­den Neulengbach und Ollersbach und dem da­ma­li­gen Polizei­apparat. Die Unter­lagen dokumen­tieren über­dies, dass die Dienst­stellen in Kirch­stetten über den Verbleib der Roma und Sinti ein­deutig Bescheid wussten. Dafür sprechen die in den 1940er Jahren nach­träg­lich hinzu­gefüg­ten Ergän­zun­gen wie z.B. Rand­bemer­kungen zum Trans­port ins Kon­zentra­tions­lager, Kor­respon­denz mit der KZ-Kom­man­dan­tur Buchenwald, Einträge zu Ver­wandt­schafts­ver­hält­nissen oder Vermerke zum Tod im Lager.

Das Schicksal der Roma, deren Heimat- und Auf­enthalts­ort Kirch­stetten damals war, nicht als Bestandteil der gemeinsamen Gemeindegeschichte anzusehen, bedeutet, die Opfer nun noch ein weite­res Mal rück­blickend aus der Dorf­gemein­schaft aus­zu­schließen. Wer eine solche Haltung gegenüber den Opfern ein­nimmt, macht – egal, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht – nichts ande­res, als sich auf die Seite der Täter zu stellen.

Sich einerseits darauf zu berufen, dass nur noch wenige Personen die NS-Diktatur selbst erlebt und die Einwohner Kirchstettens mit diesem Thema folg­lich nichts mehr zu schaf­fen hätten, und sich anderer­seits gleich­zeitig als „Dichtergemeinde“ mit dem Erbe des NS-Lyrikers Weinheber – just aus jenen Jahren – zu brüs­ten, zeugt nicht gerade von logi­scher Kohä­renz. Geschichte ist kein Selbst­bedienungs­laden, aus dem man nach Belieben man­ches für sich ver­ein­nahmt und anderes, Un­an­geneh­mes einfach aus­spart. Seiner Gemeinde er­weist Horsak damit auf jeden Fall keinen guten Dienst. Mit seinem Ein­schreiten gegen das Gedenk­projekt wird der Bürger­meister zudem nur das Gegen­teil dessen be­wir­ken, was er inten­diert: Er wird Kirch­stetten in die Schlag­zeilen bringen und damit just jenen Staub der NS-Ver­gangen­heit auf­wirbeln, den man jahr­zehn­te­lang erfolg­reich unter den Teppich gekehrt hatte. Sich stattdessen offen und sach­lich auch den dunklen Kapiteln der Orts­ge­schichte zu stellen, wäre gewiss der bes­sere Weg.

(Roman Urbaner/dROMa)

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