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Philomena Franz gestorben

Januar 1st, 2023  |  Published in Ehrungen & Nachrufe

Ein Jahrhundertleben: Philomena Franz (Foto: Domradio)Philomena Franz ist am 28. Dezember 2022 im Alter von 100 Jahren in ihrer Woh­nung in Rösrath (Deutschland) ver­stor­ben. Als deut­sche Sinteza wurde sie unter den Natio­nal­sozia­lis­ten ver­folgt, über­lebte das Kon­zentra­tions- und Ver­nich­tungs­lager Auschwitz-Bir­kenau und ver­lor viele An­ge­höri­ge im Holocaust an den Sinti und Roma im NS-be­setz­ten Europa. Nach 1945 en­ga­gier­te sie sich als Zeit­zeugin, ver­arbei­tete ihre Er­fah­run­gen als Autorin und setz­te sich für Ver­söh­nung ein.

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, wür­digte sie mit fol­gen­den Worten: „Philo­mena Franz hat sich Zeit ihres Lebens für die gleich­berech­tig­te Teilhabe un­serer Men­schen in diesem Land stark ge­macht. Durch ihr un­ermüd­liches Wirken als Zeitzeugin und Bür­ger­rechtle­rin hat sie im Hinblick auf unsere Minder­heit die positiven Ent­wicklungen der ver­gangenen Jahr­zehnte maß­geblich mit be­ein­flusst. Sie war eine der Ersten, die über ihre Er­lebnisse in den Kon­zentra­tions- und Ver­nich­tungs­lagern ge­schrieben und damit auch vielen anderen eine Stimme ge­geben hat. Sie hat sich nie mit der fehlen­den An­erken­nung des Unrechts an Sinti und Roma ab­ge­funden. Ihrem Wirken um Ver­söhnung und Ver­ständigung gehört unser aller Respekt.“

Philomena Franz wurde am 21. Juli 1922 in Biberach an der Riß in eine Musiker­familie ge­boren. Das Streich­quartett, in dem ihr Groß­vater Johannes Haag Cello spielte, hatte 1906 als Sieger eines inter­nationa­len Wett­bewerbs die „Goldene Rose“ aus der Hand des württem­ber­gi­schen Königs Wilhelm II. er­halten. Bereits nach Himmlers Fest­schreibungs­erlass von 1939 wurde die Familie von Philomena Franz er­kennungs­dienstlich erfasst und durfte ihren Wohnort nicht mehr ver­lassen. 1943 wurde Philo­mena Franz nach Auschwitz de­portiert, im Mai/Juni 1944 kam sie auf einen Trans­port ins KZ Ravensbrück. Damit entging sie der Ver­nichtungs­aktion vom 2. August 1944 in Auschwitz-Bir­kenau, bei der die letzten 4.300 Häft­linge des so­genann­ten „Zigeuner­familien­lagers“ ermordet wurden. Nach einem zu­nächst ge­scheiterten Flucht­versuch aus Ravens­brück floh sie 1945 erfolg­reich aus einem Lager bei Wittenberge und rettete ihr Leben mithilfe eines deut­schen Bauern, der sie versteckte. Ein Groß­teil ihrer Familie, darunter ihre nächsten An­gehörigen, wurde im Kon­zentra­tions- und Ver­nichtungs­lager Auschwitz-Bir­kenau, sowie in ande­ren Kon­zentrations­lagern ermordet.

In den 1970er Jahren begann Philomena Franz ihr Engagement als Zeitzeugin auf Grund der an­haltenden Dis­krimi­nierungs­erfah­rungen und vor dem Hinter­grund der ver­weigerten An­erken­nung der Völkermord­verbrechen an den Sinti und Roma. Read the rest of this entry »